Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

26.02.2024: Unsere Erde auf dem Weg in den 'planetaren Notstand'

1. Begrüßung (Karl Schneiderhan)

Vielleicht erinnern sich manche an den Namen des Politikers U Thant. Er war von 1961 bis 1971 Generalsekretär der Vereinten Nationen. Von ihm stammt folgendes Zitat aus dem Jahre 1969: „Ich will die Zustände nicht dramatisieren. Aber nach den Informationen, die mir zugehen, haben nach meiner Schätzung die Mitglieder dieses Gremiums noch etwa ein Jahrzehnt zur Verfügung, ihre alten Streitigkeiten zu vergessen und eine weltweite Zusammenarbeit zu beginnen, um das Wettrüsten zu stoppen, den menschlichen Lebensraum zu verbessern, die Bevölkerungsexplosion niedrig zu halten und den notwendigen Impuls zur Entwicklung zu geben. Wenn eine solch weltweite Partnerschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht zustande kommt, so werden, fürchte ich, die erwähnten Probleme Ausmaße erreicht haben, dass ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt.“

Nur drei Jahre später (1972) hat der CLUB OF ROME unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ seinen ersten Bericht vorgestellt. Eine Kernaussage darin lautet: "Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. … Nur ein rasches und entschiedenes Handeln könne einen ökologischen und wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand herbeiführen.“ Obwohl dieser Bericht, insbesondere wegen seiner Vorhersagen und Lösungsvorschlägen, äußerst kontrovers diskutiert wurde und sowohl aus Kreisen der Wirtschaft wie von linker Seite zum Teil harsche Kritik erfuhr, fand er aufgrund der darin formulierten Herausforderungen Gehör und gehört zu den wenigen Texten, denen eine globale Rezeption zuteilgeworden ist, in 37 Sprachen übersetzt und ca. 12 Mio. mal verkauft. Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1973 an den CLUB OF ROME verlieh dem Bericht im deutschen Sprachraum zusätzliches Gewicht.

Diese Publikation fiel in eine Zeit gesellschaftlicher Neuorientierung. In der vormals konformen Gesellschaftsordnung der Wirtschaftswunderzeit taten sich tiefe Gräben auf, die Euphorie hinsichtlich der Wohlstandsgewinne wich einem verbreiteten Unbehagen. Traditionelle Bindungen verloren an Prägekraft, neue soziale Bewegungen mischten Gesellschaft und Politik auf. Friedens-, Frauen-, Umwelt- und Dritte-Welt-Bewegung stellten bis dahin geltende Erklärungsmuster in Frage und setzten neue Akzente im politischen Diskurs.

Seit 50 Jahren setzt sich der CLUB OF ROME nun für eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit ein. Anlässlich des 50. Jahrestages 2022 präsentierte der CLUB OF ROME erneut einen Report unter dem Titel „Earth for All“. Darin beschreiben die Autoren fünf außerordentliche Kehrtwenden, die in den kommenden Jahrzehnten vollzogen werden müssten. Diese werden nachher Teil des Impulsreferates sein.

Zuvor möchte ich Ihnen unseren heutigen Impulsgeber vorstellen. Ich begrüße herzlich Dr. Emanuel Peter, der sich vertieft in die Materie eingearbeitet und angeboten hat, seine Expertise in diesen Kreis einzubringen. Emanuel Peter ist für viele ein bekanntes Gesicht, dennoch in Kürze einige Streiflichter aus seiner Vita. In Hildesheim geboren und in Berlin aufgewachsen, wo er die Schulbildung genoss und an der Freien Universität Germanistik und Romanistik studierte. Im Anschluss an das Referendariat war er zunächst am Lehrerfortbildungsinstitut in Dijon/Frankreich tätig, danach fünf Jahre als Lektor des DAAD an Universitäten in Portugal sowie in der Lehrerfortbildung. Nach seinem Auslandsaufenthalt kam er nach Rottenburg, inzwischen lebt er hier mit seiner Familie seit 35 Jahren. Es folgten berufliche Stationen an Gymnasien in Münsingen und Tübingen, wo er Französisch und Deutsch unterrichtete. Parallel promovierte er an der Uni Tübingen im Fach Germanistik. Während dieser Zeit leitete er im Auftrag der EU 17 Jahre Bildungsprojekte mit Schulen in Polen, Italien und Frankreich. Dr. Peter hat sich zudem vielfältig ehrenamtlich engagiert, unter anderem in der Partei Die Linke sowie von 2009 bis 2023 als Mitglied des Gemeinderats und von 2014 bis 2023 als Mitglied im Kreistag sowie im Regionalverband Neckar-Alb. Wir sind nun gespannt auf Ihren Einstiegsimpuls zum heutigen Thema.

 

2. Impuls (Dr. Emanuel Peter)

Earth for all: Kehrtwenden oder weiter so wie bisher?

1.Intro: Vielen Dank für die nette Vorstellung und dafür, dass Sie meine Anregung aufge­griffen haben, heute über den aktuellen Bericht des Club of Rome zu sprechen. In vielen Debatten im Gemeinderat und im Kreistag habe ich erfahren, wie dick die Bretter sind, die man bei Um­weltfragen gerade auf lokaler und regionaler Ebene bohren muss.

In meiner Einführung in das Thema gehe ich in etwa in 25 Minuten auf folgende Fragen ein: Wer ist der Club of Rome? Wie sieht der aktuelle Stand der Klimazerstörung aus? Wer leugnet immer noch eine men­schengemachte Klimazerstörung? Welches sind die zentralen Aussagen im aktuellen Bericht vom Club of Rome? Was können wir unternehmen, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen, also unseren Planeten zu erhalten?

Sie merken, dass ich Ihnen heute schwere Kost zumuten möchte. Betrachten Sie deshalb meine Einfüh­rung nur als eine Art Appetithäppchen, das Sie zum Gespräch, zum Nachden­ken und zu eigener Lektüre anre­gen möchte.

2. Der Club of Rome wurde 1968 von Industriellen und Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen aus 30 Ländern ge­gründet, um globale Fragen der Menschheit und einer nachhaltigen Zukunft zu untersuchen und auf der Grundlage von wissenschaftlichen Untersuchungen Vorschläge zu machen. Weltweites Aufsehen erregte 1972 der erste Bericht „Die Grenzen des Wachs­tums“, weil er das Selbstverständnis der traditio­nellen Vor­stellungen über Wirtschafts­wachstum mit seinem ungebremsten Ressourcenverbrauch in­frage stellte. Seit­dem wurden 34 Berichte veröffentlicht, die auf Studien seiner mehr als 1.000 Mitglieder zurückgehen. Zum 50. Jahrestag des ersten Berichts ist jetzt der aktuelle Bericht mit dem Titel „Eine Er­de für alle“ er­schienen, auf den ich gleich eingehen möchte.

 3. Zunächst jedoch einige Streiflichter zum aktuellen Stand der globalen Klimazerstörung:

- entgegen allen Zielen zur C02-Reduzierung wurde 2023 der höchste Stand dieses Treib­hausgases seit Jahren gemessen – wir alle haben die Flutkatastrophe im Ahrtal in schlim­mer Erinnerung und weltweit die höchsten Temperaturen, seit die Wetterverhältnisse auf­gezeichnet werden. Erstmals seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1850 hat der Klima­wandeldienst der EU Copernikus jetzt einen durchgängigen globalen Temperaturanstieg während der letzten zwölf Monate von über 1,5 Grad gemessen;

- erwähnen möchte ich das Abschmelzen der Eisschichten in Arktis und Antarktis. Dadurch wird der Anstieg des Meeres­spiegels ganze Groß­städte gefährden. Das Auftauen der Tundra mit dem Entweichen des Methan-Gases, das den CO2-Ausstoß durch seine Gefährlich­keit noch toppt, beschleunigt diesen Prozess noch;

- als letztes möchte ich erwähnen, dass mehrere der neun Kipppunkte unseres Klimasys­tems schon überschritten sind. Die Kipppunkte wurden 2008 vom Briten Tom Lenton ent­deckt und sind international anerkannt. Sie bezeichnen abrupte, oft unumkehrbare Ent­wicklungen im gesamten Erdsystem wie in den arktischen Eisschilden oder im Amazonas-Regenwald. Sie können nicht abschätzbare Rückkoppelungen auf weite­re Erdsysteme ha­ben. Vor zwei Monaten warnte das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung eindringl­ich davor, dass durch eine Erderwärmung über 1,5 Grad neben den bereits fünf bekannten Erdsyste­men drei weitere Kipppunkte betroffen werden.

4. Diese kurzen Schlaglichter machen es völlig unverständlich, warum Menschen die Kli­mazerstörung leugnen können. Von den vielen Behauptungen der Leugner möchte ich auf zwei häufig vertretene An­sichten kurz eingehen:

- die aktuelle Erderwärmung sei nichts Neues, es habe in der Menschheitsgeschichte schon immer Eiszei­ten und Wärmeperioden gegeben;

- die Erderwärmung sei keine Folge des menschengemachten CO2-Ausstoßes, sondern durch die natürli­che Sonnenstrahlung verursacht. Die Klimabewegung arbeite mit Hysterie und man brauche nichts oder nur sehr moderat dagegen vorgehen, sonst gefährde man den Wohlstand. Die AfD rechtfertigt ihre katego­rische Ablehnung jeder CO2-Bepreisung in ihrem Europawahlprogramm 2024 wie folgt: „CO2 bildet eine der Grundlagen unserer Existenz. Ohne CO2 in der Luft gäbe es keine Pflanzen. Seit dem Bestehen der Erde hat sich das Klima stets geändert. Auch seit der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren wech­selte das Klima in Europa zwischen Phasen, die kälter oder wärmer waren als das aktuelle Klima. Die jetzigen kli­matischen Veränderungen ordnen sich vollkommen normal in diese Wechsel ein. Trotz des durch Medien und Politik verbreiteten Alarmismus zeigen sich in der Realität weder vermehrte Extremwetterereignisse noch ein beschleunigt ansteigender Meeresspiegel.“ (S.39)

Es wundert nicht, dass die menschengemachte Klimazerstörung besonders von Ener­giekonzernen der Öl-, Kohle-, Stahl- und Automobilindustrie geleugnet und durch große Kampagnen be­kämpft wird. Sie reagierten damit auf die Grün­dung der US-Umweltschutz­behörde EPA, dann des Zweiten Sachstands­berichts des Weltklimarats 1996 und auf die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls. Sie attackieren nicht nur die Umweltorganisationen, sondern greifen zugleich jede wissenschaftliche Forschung an.

Der aktuelle Bericht des Club of Rome widerlegt beide Behauptungen mit dem Nachweis, dass die Menschheit etwa seit 1950 aus dem Holozän in das Anthropozän eingetreten ist, will heißen: Während des vorangegangenen Holozäns (Zeitalter nach der Eiszeit= Das ganz Neue), das vor 11.700 Jahren begann, haben sich Natur und Klima in einem stabilen Rhythmus befunden, der Land­wirtschaft und Zivilisationen ermöglichte. Erst durch die Große Beschleunigung in den Industriestaaten nach dem 2. Weltkrieg geriet dieses Gleich­gewicht durch den Menschen (griechisch: anthropos) ins Wanken und führte zur krisenhaf­ten Entwicklung der Gegenwart. Die Autoren des Berichts bezeichnen die aktuelle Situatio­n als „PLANETARISCHEN NOTSTAND“. Ihr Befund ist, dass alle wesentlichen Prognosen von 1972 leider eingetroffen sind. Sie können sich dabei auf einen weltweiten Konsens in der Wissenschaft über die menschengemachte Erderwärmung seit 1989 stüt­zen. In mehr als 220.000 Studien aus aller Welt wird nachgewiesen, dass die Menschheit für diesen Notstand verantwortlich ist und die Treibhausgase sich anders verhalten als eine verstärkte Sonnen­aktivität. Verantwortlich für den aktuellen Notstand sind die reichen In­dustrieländer, so der Bericht: „Wir wis­sen, dass die reichste Milliarde Menschen 72 Pro­zent der globalen Ressourcen verbrauchen, wäh­rend es den ärmsten 1,2 Milliarden nur 1 Prozent sind. Die meisten Ressourcen fließen also in den Konsum der reichsten Gesell­schaften, die allerdings nur einen Bruchteil der Konsequenzen tragen – eine zutiefst unge­rechte Situation.“

Es geht den Autoren also darum, dass die globale Entwicklung nicht weitere Kipppunkte über­schreitet, damit die Entwicklung nicht mehr rückgängig zu machen ist. Damit stützen sich die Autoren auf die 17 Nachhaltigkeitsziele, die die UN 2015 als „gemein­same Vision für unsere Zivilisation“ verabschiedet hat und die bis 2030 erreicht werden sollen. Hinzu kommen die Ergebnisse der Donut-Ökonomie der britischen Ökonomin Kate Raworth, die diese 17 Nach­haltigkeitsziele der UN maßgeblich mit erarbeitet hat und die fordert, dass der Grundbedarf jedes Menschen nach Trinkwasser, Nahrung, Wohnraum, Energie, Ge­sundheit und Bildung erfüllt wird. 

5. Daraus entwickeln die Autoren ihr Konzept von fünf außerordentlichen Kehrtwenden, die für eine glo­bale Gerechtigkeit und einen gesunden Planeten erforderlich sind und die innerhalb einer Generation um­gesetzt werden sollten.

Wie die UN in den Nachhaltigkeitszielen stellen sie die Armutskehrtwende an den An­fang ihrer Kehrt­wenden. Denn gerechtere Gesellschaften funktionieren besser als unge­rechte. Deshalb soll das Prinzip gelten, dass dem reichsten 10 Prozent einer Gesellschaft nicht mehr als 40 Prozent des Nationaleinkom­mens zusteht. Sie plädieren für ein neues Wirtschaftsmodell, damit die ärmeren Länder die doppelte Her­ausforderung durch Klima­wandel und Armutsbekämpfung bewältigen können. Dazu benötigen diese eine Infrastruk­tur mit Strom, Wasser, Straßen, Schienen und Krankenhäusern sowie einen Zugang zu grü­ner Technologie. Er wird momentan durch die Patentpolitik der reichen Industrieländer verhindert. Denken wir nur an das Verbot von Generika bei den Corona-Impfstoffen wäh­rend der letzten Pandemie. Dagegen fordern die Au­toren für die armen Länder einen Ab­bau der Verschuldung, einen Umbau des globalen Han­dels und einen ungehinderten Tech­nologietransfer.

Doch Armut existiert auch in reichen Industrieländern. Deutschland ist nach den USA und China das Land mit der drittgrößten Zahl an Milliardären (243) und weist zugleich einen wachsenden Anteil von Ar­men auf. Die fünf reichsten Deutschen verfügen über mehr Ver­mögen als 42 Millionen Menschen in unse­rem Land. Um die destruktive und demokratie­gefährdende Kluft zwischen reicher Elite und der Mehrheit der Bevölkerung abzubauen, machen sie einen radikalen Vorschlag: Sie wollen weltweit ei­ne allge­meine Grunddividen­de durchsetzen, die finanziert wird aus Abgaben der Produzenten, wenn sie gesellschaftlic­he Ressourcen wie fossile Brennstoffe, Land oder Daten der sozialen Medien nutzen. Denn dabei handelt es sich ursprünglich um Gemeingüter, d.h. um den kollektiven Reichtum ei­ner Nation, der heute für private Ge­winne ausgebeutet wird. Der Alaska Permanent Fund zahlt bereits seit 1976 einen Anteil aller Einnah­men der Ölgesellschaften als Grunddividende an jede Bürgerin und jeden Bürger aus.

Die zweite Kehrtwende zielt darauf, die Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Damit sollen Frauen ei­nen besseren Zugang zu Bildung, Gesundheitsvorsorge, finanzieller Unab­hängigkeit und wirtschaftlicher Si­cherheit erhalten. Dies ist zugleich eine Voraussetzung, um das unkontrollierte Wachstum der Weltbe­völkerung in den Griff zu bekommen, weil die Geburtenraten stark von Verstädterung, Bildung, gerecht bezahlten Jobs und Verhütung abhängen.

Die dritte Kehrtwende zielt auf ein gesundes Ernährungssystem. Zwar ist die Zahl der Hungertoten in den letzten 50 Jahren stark gesunken. Aber noch immer sind 821 Mio. Menschen unterernährt, zwei Milliarden Menschen, d.h. ein Viertel der Weltbevölkerung, sind adipös. Billige, industriell verarbeitete Nahrungsmittel beeinträchtigen unsere Ge­sundheit und greifen die Biodiversität an. Außerdem werden sehr viele Nahrungsmittel weggeworfen. Wesentlich für die Kehrt­wende ist der Agrarsektor. Er ist weltweit der größ­te Verursacher von Treibhausgasemis­sionen, für Entwal­dung und Verlust von Biodiversität. 78 Prozent des Nährstoffeintrags in Seen, Flüssen und Meeren stammen direkt aus der Landwirtschaft, durch den übermäßigen Einsatz von Düngemitteln wachsen die aquati­schen Todeszonen. Hier fordern die Autoren, dass die Hälfte unseres Planeten zum Natur-schutzgebiet erklärt wird und die Landwirtschaft zwecks Nahrungsmittelproduktion nicht weiter in Wälder und Feuchtgebiete vordringen darf. Statt industriell hergestellter Lebens­mittel sollten mehr Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte verzehrt und effektive Maß­nahmen gegen die Lebens­mittelverschwendung durchgesetzt werden.

Die vierte Kehrtwende widmet sich der Energie und einer vollständigen Elektrifizierung, um die fossilen Energieträger als Grundlage aller industriell betriebenen Wirtschaftszweige abzulösen. Statt eine „syste­mische Effizienz“ beim Energieverbrauch voranzutreiben und eine Halbierung des CO2-Ausstoßes bis 2030 durchzusetzen, erhält die fossile Brennstoff­industrie jährlich noch immer fast sechs Milliarden Dol­lar Subventionen. Hier schlagen die Autoren Abgaben und Dividen­den auf die Naturressourcen vor, ver­bunden mit einer Ab­schaffung der geistigen Eigentumsrechte für die Technologien der Unternehmen im indus­triellen Norden.

Die fünfte Kehrtwende spitzt die bisherigen Vorschläge auf die Notwendigkeit eines neu­en Wirtschafts­systems zu, deren Kern das Wohlergehen ALLER Menschen im Einklang mit der Natur und dem nachhal­tigen Gebrauch von natürlichen Ressourcen ist. Dafür sol­len in den Nationalstaaten Kreislaufwirtschaften eingerichtet und drei Hebel eingeführt werden:

- ein Bürgerfonds, der die allgemeine Grunddividende verteilt. Er wird finanziert aus den Abgaben für die Ent­nahme von Vermögenswerten aus der Nutzung kollektiver Gemeingü­ter;

- ein reguliertes, staatliches Finanzsystem, das die Kreditvergabe in eine nachhaltige Land­wirtschaft und in saubere Energie umleitet;

- drittens ein internationaler Schuldenerlass unfairer Schulden in Höhe von 900 Mrd. US-Dollar für die Staaten mit kleinen oder mittleren Einkommen.

Gelingen können diese umfassenden Kehrtwenden nur durch ein kooperatives Zusammen­spiel von Staat, Unternehmen und Zivilgesellschaft. Bei ihrem abschließenden „Aufruf zum Handeln“ stützen die Autoren ihren Optimismus zur Realisierung der Kehrtwenden auf die Erfahrungen nach der globalen Finanzkrise 2007-2009: Schnelle Verän­derungen sind möglich, wenn man sie nur will!

Ich schließe meine einführenden Worte mit zwei Grundideen zum Handeln auf nationaler und regionaler Ebe­ne.

Erster Vorschlag: Im Zentrum unseres Denkens sollten die grund­legenden Bedürfnisse ALLER Men­schen und die Beachtung der Natur mit ihrer Biodiver­sität stehen, gemäß der Losung „Global denken – lokal handeln“. Im Vordergrund sollte die Natur mit ihrer Biodiversit­ät im Einklang mit einer ökologischen Landwirtschaft stehen. Im Bericht der Food System Economics Commission (FSCE) vom Januar dieses Jahres heißt es: „Eine umfassende Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme erzielt volkswirtschaftliche Gewinne in Billionenhöhe, rettet Hunderte Millionen Menschenleben und reduziert die Erderwärmung. Die global vorherrschenden Agrar- Ernährungssysteme sind weder gut für unseren Planeten noch für uns.“ Deshalb müssen unsere natürlichen Ressourcen wie Süß­wasser, Moore und unversiegelte Flächen geschützt werden. Die Förderung unserer Bio-Landwirtschaft – aktuell produziert sie nur 11 Prozent unserer Lebensmittel – sollte abso­luten Vorrang erhalten und gefördert werden durch Bauernmärkte, regionale Schlachthöfe und Streuobstwiesen. Dadurch könnten Kitas, Schulen, Krankenhäuser und Pflegeheime über kommunale Mensen mit regiona­len und gesunden Produkten beliefert werden, wie dies ge­rade der Bürgerrat im Auftrag des Bundestages vorgeschlagen hat. Mit einer regene­rativen und regionalen Kreislaufw­irtschaft auf der Grundlage einer Biolandwirt­schaft würden wir unabhängiger von gefährdeten Lieferkett­en.

Mit meinem zweiten Vorschlag beziehe ich mich auf den Präsidenten des Deutschen Insti­tuts für Wirt­schaftsforschung Marcel Fratscher. Sowohl der Bericht des Club of Rome wie auch die Donut-Ökonomie sehen im Gefühl der Bevölkerung für soziale Gerechtigkeit eine entscheidende Bedingung für die notwendige ökologische Transformation der Gesellschaf­ten. Deshalb kritisiert Frat­scher die soziale Schieflage im geplanten Bundeshaushalt 2024. Es fehlen darin für Transformation und Klimaschutz in den nächsten Jahren über 60 Milli­arden Euro. Außerdem benöti­gen die Kommunen, die Hauptträger der ökologischen Trans­formation sind, laut der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) inzwischen 160 Mil­liarden Euro für ver­schleppte Investitionen in Infrastruktur und Daseinsvorsorge. So fordert Fratscher ein Son­dervermögen für Klimaschutz, Transformation, Bildung und Soziales in Höhe von 100 Mrd. Euro, fi­nanziert durch Steuererhöhungen für Milliardäre. Das hat nichts mit einer Neiddebatte zu tun, sondern soll in der Bevölkerung eine größere soziale Akzep­tanz für al­le notwendigen Ver­änderungen erreichen. Wir erleben, wie Rechtspopulisten und Rechts-extreme versuchen, den berech­tigten sozia­len Unmut umzumünzen in einen Angriff auf unsere demokratische Grundord­nung. Deshalb sollte das längst versprochene Klimageld sofort ausgezahlt werden und auf kommunaler Ebene sollten die Einwohner am Gewinn aus den Windkraftanlagen finanziell beteiligt werden. Für mich ist das entscheidend, ob die Akzeptanz für die Investitionen in den Klimaschutz und für die Glaubwürdigkeit in die Regierungspolitik wiederhergestellt werden kann.

 

3. Nachfragen und Diskussionsbeiträge der Teilnehmer

  • Es wird bedauert, dass wir, anders als im Flyer angekündigt, zu wenig über die aktuellen Vorschläge des Club of Rome (CoR) zum Klimaschutz gehört haben. Im Impuls wurden einige Kippunkte genannt, welche davon sind aktuell schon überschritten? Und wie sollen wir mit der aktuellen Situation umgehen?
  • Ein weiterer Teilnehmer äußert seine grundsätzliche Zustimmung zum Impuls. Er weist darauf hin, dass das schnelle, entschlossene Handeln nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007-2008 eher wenig an der grundsätzlichen Situation der Wirtschaft und des Finanzsektors geändert habe. Er empfiehlt dazu den Livestream Podcast: ‚2045 by Design or Disaster‘.
  • In die Betrachtung des Klimawandels muss auf jeden Fall die Frage der Bevölkerungsexplosion einbezogen werden. Dafür müssen Lösungen gefunden werden. Ebenso werden Techniken angemahnt, die in Lage sind, Wasser nach Starkregen für die spätere Nutzung in wasserarmen Zeiten zu speichern.
  • Oft erschlagen uns die Berichte über die Krisen der Welt, sodass wir nicht mehr sehen, was schon Positives passiert ist. Zum Beispiel ist das Wasser der Echaz in Reutlingen jetzt viel sauberer als vor Jahren, als es noch eine grüne Brühe war. Auch sollten wir die Fortschritte in der Begrünung der afrikanischen Sahelzone durch Baumpflanzungen im Auge haben.
  • Herr Dr. Peter weist darauf hin, dass die Verödung der Landschaft in Afrika seit über 30 Jahren trotz der Erfolge in der Sahelzone weiter fortschreitet. Leider fördern die EU-Exporte von Lebensmitteln aus reichen Ländern nach Afrika, anstatt die Lebensmittelproduktion in Afrika zu unterstützen. Die Wirkungen des Konzepts der Begrünung sind noch nicht vollständig geklärt. Der Autor Jean Ziegler meinte zur Bevölkerungsentwicklung, dass die Erde doppelt so viele Menschen wie jetzt ernähren könne, wenn man die Ressourcen nur richtig verteile.
  • Das Bevölkerungswachstum hat sich verlangsamt und trotzdem sind die reichsten 10% der Menschheit immer noch für über 50% der CO2-Emissionen verantwortlich.
  • Die Klimakatastrophe kann durch das Reduzieren der sozialen Spaltung aufgehalten werden, doch wie schaffen wir das? Ist die soziale Umverteilung der Dividenden aus der Erdöl-förderung hierbei der richtige Weg?
  • Das Hauptproblem der CO2- Emissionen liegt in Schwellenländern, z. B. China, was Ausdruck des Versuchs ist, die dortigen Lebensbedingungen zu verbessern und den unsrigen anzupassen.
  • Der Pro-Kopf Ausstoß von CO2 ist in China geringer als in Deutschland, was wieder auf den Zusammenhang zwischen Wohlstand und CO2-Ausstoß hinweist.
  • Lösungen können auch auf kommunaler Ebene, z. B. durch den Ausbau der Windkraft und die Beteiligung der Bevölkerung aus den mit Windkraft erzielten Einnahmen gefunden werden.
  • Herr Dr. Peter: Die Industrieländer verlagern umweltverschmutzende Prozesse in andere Länder, z.B. Müllentsorgung und -aufbereitung. Kippunkte bezeichnen globale Veränderungen der Umwelt, die, wenn sie überschritten sind, nicht rückgängig zu machen sind.
  • Kipppunkte und Katastrophen überfordern uns. Was können wir machen? Wer kann so viel bewirken, dass sich das Weltklima noch ändern lässt? Wir betrachten zu viel das Globale und schauen aber zu wenig vor die eigene Haustür. Der Flugverkehr nimmt wieder zu und wird nicht zuletzt wegen der angestrebten 4-Tage-Woche weiter steigen.
  • Man wird nicht nur die Millionäre mehr besteuern müssen, sondern auch die gesellschaftliche Mitte. Eine höhere Besteuerung allein bringt uns nicht weiter, es braucht auch eine bessere Erziehung und mehr staatliche Maßnahmen.
  • Der CoR schlägt viele Maßnahmen vor, die in Richtung Sozialismus zeigen. Man benötigt aber für alle Maßnahmen die Akzeptanz und ein solidarisches Denken der Bevölkerung.
  • Bis vor 30 Jahren gab es viele sozialistische Systeme in denen es auch ohne Kapital-Akkumulation um die Ökologie recht schlecht bestellt war.
  • Die Bauernproteste könnten dazu führen, dass die Regel, nach der sie 4% ihrer Fläche brachliegen lassen sollen, aufgegeben wird, weil die Regierung an der Reduzierung der Dieselförderung festhalten muss.
  • Der Impuls verweist auf einen hohen Regelungsbedarf, um die Klimaziele wenigstens im Ansatz zu erreichen. Damit entsteht die Frage, inwieweit sich das kapitalistische Wirtschaftssystem mit einer zunehmend dirigistischen Politik verträgt. Und wie können diese Aufgaben gelöst werden, ohne in der Wirtschaft und in der Bevölkerung Vertrauen zu verspielen?
  • Die Politik muss die richtigen Anreize setzen: VW stellt die Produktion des Kleinwagens UP ein, weil damit zu wenig verdient wird. Daimler-Benz konzentriert sich verstärkt auf die Herstellung großer, teurer PKW und SUV, weil mit diesen Autos höhere Gewinne erzielt werden können. Hier ist die Politik gefordert, um durch entsprechende Anreize, z.B. durch die Mehrwertsteuer, veränderte Rahmenbedingungen zu schaffen, die ökologisch sinnvolle Produkte begünstigen.
  • Wir müssen bei uns selbst anfangen: Nicht heizen, einen Garten anlegen, vegetarisch essen und nicht verreisen.
  • Menschen wollen im Wohlstand leben, sie stimmen den meisten Thesen des Impulses in der Theorie zu – aber wie sieht es dann mit der Praxis aus? Hier ist dann das alltägliche Leben völlig anders.
  • Menschen sind hedonistisch und vernünftig. Wir müssen die Menschen mitnehmen. Die kleinen Leute wollen den Klimawandel nicht alleine finanzieren, siehe Klimageld.
  • Herr Dr. Peter: Das Verschieben der Rückzahlung des Klimageldes und die mit dem Klimaschutz verbundenen Mehrkosten führen zu Misstrauen. Warum wird Kerosin nicht besteuert? Wir haben eigentlich genug Geld in der Gesellschaft. Alle müssen sich an der Finanzierung der Kosten des Klimawandels beteiligen.
  • Die gerechtere Umverteilung von Finanzmitteln wird nicht freiwillig erfolgen, wie also soll eine Umverteilung erreicht werden? Es wird auf das Buch „Steuern - der große Bluff“ des ehemaligen Finanzministers aus NRW Norbert Walter-Borjans verweisen, der aufgezeigt hat, wie Reiche in unserer Gesellschaft versuchen das Zahlen ihrer Steuern umgehen.

 

4. Abschluss und Dank (Karl Schneiderhan)

Karl Schneiderhan dankt Dr. Peter für seinen Impulsvortrag und die Bereitschaft, seine Expertise in den politischen Gesprächskreis einzubringen sowie allen Teilnehmenden für die anregenden und substantiellen Redebeiträge.

Abschließend gibt er drei Fragen mit auf den Weg, die dazu ermutigen können, dieses Thema bewusster und nachhaltiger wachzuhalten.  

Wie wäre es, nicht aus Sorge vor einer schrecklichen Zukunft heraus zu handeln, sondern aus der gemeinsamen Sehnsucht nach einem besseren Leben?

Wie wäre es, wenn wir die Tatsache, dass wir so leben können, als ein großes Glück und Wunder begreifen?

Könnte uns die Dankbarkeit dafür mehr ermutigen, uns auf das zu fokussieren, was wesentlich ist und stärken für den Weg in die Zukunft?

 

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