Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

26.06.2023: Das Beispiel Heizungsstreit - Verhindert der Parteienwettbewerb die ökologische Transformation?

1 Einführung (Karl Schneiderhan)

Wegen der Erkrankung des Impulsgebers Dr. Hans-Ulrich Brändle mussten wir das für den heutigen Gesprächskreis vorgesehene Thema „Klimagefühle"  - Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln“ ändern. Angesichts der aktuellen Debatte haben wir uns kurzfristig für das Thema entschieden: „Das Beispiel Heizungsstreit: Verhindert der Parteienwettbewerb die ökologische Transformation?“

Nach den zum Teil dramatischen Ereignissen im Verlaufe des Wochenendes (Putschversuch in Russland, Wahl des ersten AfD-Kandidaten zum Landrat in Thüringen) ist das gewählte Thema möglicherweise etwas in den Hintergrund gerückt. Dennoch lohnt es sich, dieses neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) aktuell zu diskutieren, nicht nur dessen Inhalte, Finanzierung und Rahmenbedingungen, sondern dieses einmal unter dem Blickwinkel, wie der demokratische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess in diesem Fall abläuft. Denn kaum ein Thema polarisierte je die öffentliche Debatte so vehement wie dieses neue Gebäudeenergiegesetz. Neben einer kurzen Information zu Inhalten, Rahmenbedingungen und Fördermodalitäten dieses Gesetzes wollen wir die Frage diskutieren: Das neue Heizungsgesetz: Verhindert der Parteienwettbewerb die ökologische Transformation?

Trotz der zeitlich knappen Vorbereitungsfrist hat sich Winfried Thaa dankenswerterweise bereit erklärt, uns mit einem Impuls in das Thema einzuführen.

 

2. Impuls (Winfried Thaa)

1. Einleitung

Wir schlagen vor, als Ersatzthema den Heizungsstreit zu diskutieren, nicht um über die Probleme von Gasheizung und Wärmepumpe zu reden. Da wäre ich nicht kompetent, obwohl bei uns zu Hause im April eine Wärmepumpe eingebaut wurde.

Interessant fand ich vielmehr, dass beim Streit um das von Wirtschafts- und Wohnungsbauministerium vorgelegte Gebäudeenergiegesetz, kurz GEG, eine Polarisierung der politischen Öffentlichkeit zu beobachten war, wie selten zuvor. Das sog. Heizungsgesetz, bzw. die Reaktionen von Öffentlichkeit und Parteien darauf scheinen mir deshalb ein geeigneter Anlass, um grundsätzlicher zu diskutieren, wie unbequeme ökologische Veränderungen im demokratischen Rahmen von Parteienkonkurrenz und der Skandalisierungslogik von Medienöffentlichkeit und sozialen Medien durchzusetzen sind.

Mein Eindruck war, dass dieser Fall im Vergleich zu früheren Auseinandersetzungen einige neue Elemente enthielt. Das betrifft auf den ersten Blick die Schärfe der Polemik. Die Grünen sind ja schon früher immer gern als Verbotspartei bezeichnet worden – bekanntestes Beispiel ist vielleicht der ‚Veggi Day‘, der vor Jahren vorgeschlagen und bewusst im Sinn eines Fleischverbots missinterpretiert wurde. Mit „Heizungsstasi“ und ähnlichem wurde das nun deutlich übertroffen. (Im Internet „Klima-Stasi“ eingeben – man wundert sich).

Vielleicht ist das nur ein gradueller Unterschied. Aber m. E. drängen sich zwei grundsätzliche Fragen auf:

1) Können demokratische Parteien, die ständig in Konkurrenz um Wählerstimmen stehen, allgemein als notwendig erkannte, aber kostspielige und deshalb unpopuläre Veränderungen durchsetzen?

2) Beobachten wir in der Auseinandersetzung um ökologische Veränderungen eine Neuformation politischer Konfliktlinien, weg von der jahrzehntelang bestimmenden verteilungspolitischen Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit hin zu einer Art Kulturkampf, wie wir ihn seit Jahrzehnten in den USA beobachten können?

 

2. Inhalt und Voraussetzungen des neuen Gebäudeenergiegesetzes (GEG)

Zunächst aber ein paar Informationen zum GEG. Man könnte sich durchaus darüber wundern, dass es darüber einen so heftigen Streit gab. Denn es geht zurück auf das bereits 2019, noch unter der Großen Koalition beschlossene Klimaschutzgesetz. Dieses sieht vor, die Emission von Treibhausgasen bis 2030 um 55% zu senken. Dieses Gesetz musste nochmals verschärft werden aufgrund eines Urteils des BVerfG vom März 2021, das den Gesetzgeber verpflichtet, die Klimaschutzziele über 2030 hinaus zu konkretisieren. Der Bundestag hat deshalb im Juni 2021 beschlossen, das Ziel der Klimaneutralität um fünf Jahre auf 2045 vorzuziehen und verschiedenen Sektoren die dazu notwendigen Reduktionen vorzugeben, also für Landwirtschaft, Gebäudeenergie, Verkehr bestimmte Reduktionen verbindlich zu machen.

Diese verbindlichen Sektor-Ziele hat das Bundeskabinett übrigens letzte Woche, insbesondere auf Drängen von Bundeskanzler Scholz, wieder aufzugeben beschlossen. Das neue Heizungsgesetz steht in diesem Kontext. Es wurde bereits im Koalitionsvertrag angekündigt und sollte erreichen, dass ab dem 01.01.2025 keine neuen Gas- oder Ölheizungen mehr eingebaut werden. Vor mehr als einem Jahr, im März 2022 haben die Vorsitzenden aller drei Regierungsparteien unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges und der deshalb befürchteten Gas Krise vor der Presse gemeinsam angekündigt, dass schon ab dem 01.01.2024 jede neu eingebaute Heizung zu 65% mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Das hat damals noch niemanden besonders aufgeregt (Vgl. dazu Der Spiegel, 20.5.2023).

Als dann ein erster gemeinsamer Entwurf des Gesetzes von Wohnungsbau- und Wirtschaftsministerium zur sog. „Frühkoordination“ an die anderen Ministerien verschickt wird, ändert sich das schlagartig. Das Finanzministerium hält die Eingriffe in das Eigentumsrecht der Hausbesitzer für unverhältnismäßig und legt sich quer, der Entwurf kommt in die Öffentlichkeit, und, das lässt sich m.E. so sagen, es entwickelt sich eine vor allem von der Bild-Zeitung angefeuerte Medienkampagne nach dem Motto, die Regierung will Öl- und Gasheizungen verbieten und uns zum Kauf teurer Wärmepumpen zwingen. Die Union, die Immobilienbranche und Bild, nach den verlorenen Berliner Wahlen auch offen die FDP, mobilisieren gegen das Gesetz.

Der bekannt gewordene Gesetzentwurf hatte in der Tat zahlreiche Schwächen und Unklarheiten. So existierte noch kein Förderprogramm, das damit verbunden werden soll, und die Koordination mit den Wärmeplänen der Kommunen war völlig unklar. Hinzu kommt, dass zur selben Zeit bekannt wird, dass der zuständige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Graichen, einem seiner Trauzeugen zu einem attraktiven Posten verholfen hat.

Das erleichtert natürlich den Aufbau einer Frontstellung zwischen denen da oben, die wo immer möglich sich selbst bedienen, und den einfachen Bürgern, denen man, völlig abgehoben, eine Zumutung nach der anderen aufdrückt.

Mittlerweile wurde das Gesetz in wichtigen Punkten geändert. Prinzipiell bleibt es zwar dabei, dass ab 1.1.24 „möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65% mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll“. Es wurde jedoch eine Übergangsfrist von drei Jahren eingeführt, wenn absehbar ist, dass ein Anschluss an ein Fernwärmenetz kommt beträgt sie 10 Jahre, bei Gasetagenheizungen sogar 13 Jahre. Weitere Ausnahmen für jene über 80 Jahre; Fördermittel 30%, wenn man trotz möglicher Ausnahmeregelung eine neue Heizung einbaut, weitere 20%. (vgl. dazu:

https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Gebaeudeenergiegesetz)

Jetzt könnte man sagen: Schön, war alles etwas holprig, aber Ende alles gut?

 

3. Eine neue Qualität der politischen Auseinandersetzung

In einer Demokratie ist es völlig normal, dass die Opposition Gesetzesvorhaben der Regierung ablehnt. Das ist die Pointe der repräsentativen Demokratie: Kein Regierungshandeln bleibt unhinterfragt und ohne Alternative. Der politische Konflikt ist deshalb der Normalfall.

Über Jahrzehnte hinweg war ein großer Teil der politischen Auseinandersetzungen geprägt durch den gesellschaftlichen Grundkonflikt zwischen Kapital und Arbeit. Von ihm ausgehend bestimmte sich auch weitgehend die Haltung der Parteien zu anderen Themen: Mehr oder weniger Staat, mehr oder weniger Sozialausgaben, mehr Kindergeld oder höhere steuerliche Freibeträge für die Kinder u. v. a. m. lassen sich auf diesen Grundkonflikt zurückführen. Für uns wichtiger: Diese Konflikte haben alle gemeinsam, dass sie sich in der Regel durch Kompromisse regeln lassen. Nicht aus der Welt schaffen, aber bis zur nächsten Runde der Auseinandersetzung regeln. (Ein guter Kompromiss zeichnet sich in diesen Fällen bekanntlich dadurch aus, dass beide Seiten damit unzufrieden sind). In der Politikwissenschaft nennt man dies „teilbare Konflikte“ .

Bereits in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unterschied Joachim Raschke für moderne westliche Gesellschaften drei historisch aufeinanderfolgende Typen des politischen Konflikts, die er als Herrschafts- Verteilungs- und Lebensweiseparadigma bezeichnete. Unter Hinweis auf die damals erstarkende Ökologiebewegung prognostizierte er einen Bedeutungsverlust der prinzipiell friedlich lösbaren Verteilungskonflikte gegenüber solchen Konflikten, in denen alternative Lebensweisen und ihre gegensätzlichen Wertvorstellungen aufeinanderprallen.[1]

Ähnlich äußerte sich Albert Hirschman, ein amerikanischer Politikwissenschaftler, während der 90er Jahre zur integrativen Kraft von Konflikten. Sein Argument: Integration durch Konflikt habe gut funktioniert in den pluralistischen Marktgesellschaften der Nachkriegsjahrzehnte, als Verteilungskonflikte die Politik prägten.[2] Mit Blick auf die damals bereits zugespitzten, in Hirschmans Begrifflichkeit nicht-teilbaren Wertkonflikte um Abtreibung, Ethnizität und religiösen Fundamentalismus in den USA fühlte er sich dagegen zum Ausruf veranlasst »May god give us back the class struggle!«“[3]

Daran anschließend möchte ich zwei Thesen zur Schwäche der parlamentarischen Demokratie in Konflikten um ökologische Fragen formulieren:

Die erste lautet, dass gut begründete, aber für erhebliche Teile der Bevölkerung kostspielige Veränderungen einen Anreiz für konkurrierende Parteien bieten, sich gar nicht erst auf Alternativen einzulassen, sondern sich darauf zu beschränken, dagegen zu mobilisieren. Gegendemokratischer (Rosanvallon) Opportunismus, der sich gar nicht mehr um eine allgemeine Perspektive kümmert.

Die zweite These behauptet, dass diese Konstellation darüber hinaus auch dazu einlädt, Konflikte um ökologisch gebotene Maßnahmen als Katalysator für eine neue, an einen Kulturkampf erinnernde politische Frontstellung zu nutzen – nach dem Motto Freiheit gegen Ökodiktatur.

Zunächst zum ersten Konfliktmuster.

Parteien tendieren dazu, im Wettbewerb um Wählerstimmen, Macht, und, nicht zu vergessen, attraktive Posten, jeden Vorteil auszunutzen. Sie handeln strategisch. (Wenn man wie hier über Politik diskutiert, neigt man dazu, dieses auf den eigenen Vorteil gerichtete strategische Moment zu unterschätzen.)

Die Grundidee der repräsentativen Demokratie, wie sie im 18. Jh. in den USA entstand, ist es, durch Freisetzung dieses, von Partikularinteressen getriebenen Wettbewerbs das Allgemeinwohl zu fördern. Nicht nur in dem Sinn, dass ein freier Wettbewerb um Zustimmung dazu führt, dass am Ende die besten Ideen und Konzepte sich durchsetzen. Sondern auch in dem von der Rechtfertigung der Marktwirtschaft her bekannten Sinn, dass Ehrgeiz und das Streben nach persönlichem Vorteil in einem durch Gesetze und Spielregeln regulierten Wettbewerb zum Motor des Allgemeinwohls werden können.

In Zeiten der Verteilungskonflikte hat dieses Zusammenspiel von Partikularinteressen und Allgemeinwohl einigermaßen funktioniert. Der durch den politischen Wettbewerb sozialstaatlich gebändigte Kapitalismus hat einerseits zu Wachstum und Kapitalakkumulation, andererseits zu breiten Wohlstandsgewinnen und zu einem Ausbau des Sozialstaats geführt. Und die beteiligten Gruppen, die die Erfahrung machten, sich zumindest teilweise durchsetzen zu können, wurden, wie Hirschman meinte, in das politische System integriert. (Das ließe sich in der Geschichte der Bundesrepublik gut belegen mit Dingen wie der dynamischen Rente, der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bildungspolitischen Maßnahmen wie Bafög, oder aus jüngerer Vergangenheit noch dem Mindestlohn.)

Das letzte Beispiel zeigt, dass diese Konfliktlinie immer noch existiert. Aber sie spielt nicht mehr dieselbe dominante Rolle wie vor einigen Jahrzehnten.

Im Konflikt um das Heizungsgesetz geht es nicht nur um andere Inhalte, dieser hat auch einen anderen Charakter. Alle Parteien, außer der AfD, stimmen grundsätzlich zu, dass die Bundesrepublik, wie in internationalen Verträgen und im Klimaschutzgesetz festgelegt, klimaneutral werden soll. Jetzt könnte man sagen: gut, sollen sie sich dann darum streiten, wie das im Einzelnen mit welchen Maßnahmen erreicht werden soll. Nach meinem Eindruck ist das aber nur hin und wieder am Rande der Fall. Union, SPD und FDP agieren eher so, dass sie die konkreten Maßnahmen zum Erreichen der festgelegten ökologischen Ziele den Grünen überlassen und sich selbst weitgehend darauf beschränken, die durch die vorgeschlagenen Maßnahmen negativ betroffenen Interessen aufzugreifen. Das gilt etwa beim Bereich Verkehr, wo man im Namen individueller Freiheit Geschwindigkeitsbegrenzungen ablehnt, nicht ans Dienstwagenprivileg ran will, das uns die großen und spritfressenden Autos beschert u. ä. m. Noch extremer ist das im Bereich der Landwirtschaft, wo eigentlich klar ist, dass wir mit dem industriellen Einsatz von Pestiziden die Artenvielfalt gefährden und dafür sorgen, dass es in absehbarer Zeit keine Insekten mehr geben wird. Dennoch greifen Union und FDP immer gern die Interessen von Landwirtschaft und Agroindustrie an einer Verteidigung des status quo auf und warnen vor „weiteren Zumutungen für die Landwirte“.

Der Punkt ist hier: Man lässt sich gar nicht mehr unbedingt auf die Formulierung einer allgemeinwohlverträglichen Alternative ein, sondern beschränkt sich darauf zu sagen, es reiche jetzt mit den Zumutungen, mit den bürokratischen Regelungen, oder, auch sehr beliebt, man behauptet, wir in Deutschland könnten nicht die Welt retten, auf unsere Kosten wollten abgehobene Radikalökologen die Welt retten usw. Das Ziel ist dabei klar: Man versucht mit Blick auf die nächsten Wahlen, die bei uns ja zumindest in einem der Bundesländer ständig anstehen, zu signalisieren: wir vertreten Eure Interessen und schützen Euch vor weiteren Zumutungen. Das ist das, was ich als Opportunitätsstrategie bezeichnen würde. Die Parteien lassen sich nicht mehr auf die Formulierung eines am Allgemeinwohl orientierten Programms ein, sondern nutzen die Gelegenheit umstrittener Regierungsvorhaben zu einer im Kern populistischen Gegenmobilisierung. Anmerkung: In Bayern hat das in Beziehung auf Berlin oder früher Bonn eine lange Tradition.

Das zweite Konfliktmuster, das sich am Heizungsstreit deutlich zeigt, steht nicht unbedingt in Widerspruch zum ersten, sondern ergänzt es oder baut es aus zu einer umfassenderen Konfliktlinie. Im Kern geht es darum, um die ökologischen Konflikte herum eine breitere, stark emotionalisierte und identitätspolitisch aufgeladene Freund-Feind Unterscheidung aufzubauen. Das Vorbild dafür stellt die „America first“ Kampagne von Donald Trump dar. In den USA ist von republikanischer Seite schon seit den 90er Jahren planmäßig daran gearbeitet worden, interessenbezogene Konfliktlinien in den Hintergrund zu drängen durch die Konstruktion einer kulturellen Spaltung zwischen wahren Amerikanern und unpatriotischen, amoralischen und abgehobenen Akademikern. Das Recht, Waffen zu tragen, ein striktes Abtreibungsverbot, die christliche Familie als Leitbild, gegen Sexualkundeunterricht in den Schulen und die Kontrolle der Zuwanderung waren dabei die wichtigsten Themen, mit denen eine Allianz gegen die arroganten und unpatriotischen großstädtischen Besserwisser geschmiedet wurde.

Eine solche Kulturkampfstrategie ist auch bei uns nicht ganz neu. Die Grünen werden in Wahlkämpfen immer gern als Verbotspartei attackiert und ihre Abgehobenheit und Arroganz angeprangert. Im Streit um das Heizungsgesetz wurde die Frage, wie wir in Zukunft ökologisch sinnvoll heizen können zum Gegensatz zwischen Freiheit und Ökodiktatur hochgejubelt. Nimmt man noch andere Themen hinzu, etwa „Genderwahn“, ausufernde Bürokratie, die Verteidigung des Autos und die Kontrolle von Zuwanderung, zeichnen sich Möglichkeiten einer ähnlichen, auf Identitätspolitik setzenden Freund-Feind Polarisierung ab, wie wir sie bereits aus anderen Demokratien kennen.

Begünstigt wird diese Kulturkampfstrategie gerade im Bereich Ökologie durch die ökologischen Bewegungen und die Grünen selbst. Auf dieser Seite argumentiert man mit wissenschaftlichen Studien und formuliert die daraus abgeleiteten Notwendigkeiten als nicht zur Disposition stehende moralische Forderungen. Der Temperaturanstieg muss begrenzt, drohende Katastrophen wie Anstieg des Meeresspiegels oder auch ein allgemeines Insektensterben oder die Zunahme krebserregender Chemikalien müssen unbedingt verhindert werden. Aus dieser Sicht kann jemand, der dagegen Einwände vorbringt, eigentlich nur verblendet oder gar böswillig sein. Auch wenn es richtig ist, dass wir es bei ökologischen Fragen mit Naturgesetzen zu tun haben, so lässt sich das jeweils angemessene politische Handeln, mit dem wir etwa auf die Gefahren der Klimaerwärmung reagieren wollen, nicht zwingend ableiten. In der Politik gibt es immer mehrere Handlungsmöglichkeiten. Es besteht also die Gefahr, dass die moralische Absolutheit, mit der ökologische Forderungen vorgetragen werden, eine Polarisierung fördert, in der die zur Entscheidung anstehenden Fragen eigentlich nicht mehr als kompromissfähig, und das hieße eben auch, als nicht mehr politisch lösbar erscheinen. 

Allerdings steht bei uns dem Erfolg einer solchen Kulturkampfstrategie einiges entgegen. Der Stadt-Land-Gegensatz ist nicht so ausgeprägt wie in den USA, Kirche und Religion haben eine andere Bedeutung, die politische Kultur ist eine andere u.a.m. Aber zwei weitere Unterschiede sind m.E. noch wichtiger: Wir haben in Deutschland noch eine nicht nur auf Skandalisierung und Bestärkung der eigenen Klientel/Selbstreferenz ausgerichtete Medienlandschaft, und wir haben ein Mehrparteiensystem, das einen Zwang zu Koalitionen schafft.

Parteien, die im Bund oder Land miteinander koalieren, sind gezwungen Kompromisse zu finden. Sie können sich immer wieder polemisch angehen, aber es dürfte auf Dauer nicht funktionieren sich gleichzeitig zu verteufeln und gemeinsam zu regieren.

Während der letzten Wochen konnte man beobachten, wie aus dieser Konstellation in der Union sich ein Gegengewicht zu den von Merz angeschlagenen kulturkämpferischen Tönen bildete – angeführt von den Ministerpräsidenten Wüst und Günther. Da geht es natürlich auch um die Frage des nächsten Kanzlerkandidaten, aber auch darum, ob die Union mit einer kulturkämpferischen Polarisierung gut beraten wäre oder nicht besser, wie es Günther forderte, sprachlich sauber bleiben und sich nicht auf Themen wie Gendern und Wokeness kaprizieren sollte.

Am Mittwoch letzter Woche durfte Hedwig Richter, Geschichtsprofessorin an der Bundeswehruni in München, im Feuilleton der FAZ einen ausführlichen Artikel veröffentlichen. Die Überschrift „Der falsche Weimar-Reflex“. Darin kritisiert sie die aus Anlass der AFD-Umfragewerte häufig gezogenen alarmistischen Vergleiche der heutigen Bundesrepublik mit Weimar. Sie verweist zu Recht darauf, dass wir heute im Gegensatz zu den 30er Jahren des letzten Jh. stabile soziale Verhältnisse sowie einen funktionierenden und breit akzeptierten Rechtsstaat haben. Bezogen auf die aktuellen heftigen Auseinandersetzungen über die Ersetzung fossiler Brennstoffe meint sie recht optimistisch, die Politik sollte diese stabile Ausgangsposition nutzen und ihre Angst vor Zumutungen an die Bevölkerung überwinden. Den Menschen seien die positiven Seiten einer ökologischen Transformation vor Augen zu führen und mit einem optimistischen „Wir kriegen das hin“ könne die populistisch geschürte Angst überwunden werden.

Ich finde diesen Optimismus sympathisch, kann ihn aber nicht ganz teilen. Für wahrscheinlicher halte ich, dass die Parteien weiterhin, wie oben beschrieben, ihren kurzfristigen Vorteil suchen und dort, wo Interessen von ökologisch sinnvollen Veränderungen negativ betroffen sind, versuchen werden, diese in ihrem Sinn zu mobilisieren – sei es beim Heizen, beim Individualverkehr, der Landwirtschaft oder bei Landschaftsverbrauch durch neue Baugebiete. Darüber lässt sich jetzt aber sicher diskutieren. 

 

3. Diskussionsbeiträge

  • Die technischen Möglichkeiten der Wärmepumpen seien trotz aller Diskussionen unklar und es sei sehr schwer, sich dazu eine Meinung zu bilden. VW habe vor drei Jahrzehnten seine Forschung zur Entwicklung von Wärmepumpen aufgegeben, über die Gründe ließe sich nur spekulieren. Auf jeden Fall solle jeder, der daran denkt, eine Wärmepumpe einzubauen, unbedingt einen neutralen Experten hinzuziehen.
  • Die im Impuls entwickelte Demokratiedefinition, nach der die Pointe der repräsentativen Demokratie der Dauerkonflikt zwischen Regierung und Opposition sei, wäre gefährlich. Wir sollten stattdessen zusammenkommen und gemeinsam handeln.
  • Eine Demokratie lebt einerseits von der Auseinandersetzung um die besten Programme, auf der anderen Seite werden heute Dissonanzen eher negativ erlebt und man geht Auseinandersetzungen aus dem Weg. Es sei im gesellschaftlichen Zusammenleben ein starkes Harmoniebedürfnis feststellbar.
  • Konflikte in Sachfragen würden instrumentalisiert und emotionalisiert, teilweise auch skandalisiert und leider nicht mit sachlichen Argumenten ausgetragen. Grundsätzlich sind die meisten für Klimaschutz. Je konkreter aber die Umsetzung ansteht, desto mehr entsteht eine Betroffenheit, weil man jetzt konkrete Auswirkungen spürt wie z. B. Kosten oder die Gefährdung des erarbeiteten Wohlstandes. Auch unter Parteien, mit Ausnahme der AfD, herrscht im Grundsatz Einmütigkeit, was die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen den Klimawandel betrifft. Wenn es aber konkret wird, überlassen sie die Umsetzung anderen und mobilisieren sogar dagegen mit der Begründung, Interessen von Bürgern zu schützen (z. B. Landwirtschaft, Auto- und Eigenheimbesitzer).
  • Die politische Kommunikation funktioniere leider nicht so, dass sie sachliche Beiträge belohne. Häufig bringe es politischen Nutzen, zu polarisieren.
  • Parteien, dies gilt insbesondere für Oppositionsparteien, sollten nicht nur eine Gegenposition einnehmen. Es wäre förderlich, auch qualifizierte Alternativen vorzuschlagen. Parteien müssten sich generell mehr darauf einlassen, programmatische Alternativen, insbesondere in ökologischen Fragen zu entwickeln.
  • Es wird eine Gefahr der Moralisierung gesehen. Zudem herrsche apokalyptisches Denken vor, was ein Optimistisches, zukunftsgerichtetes Narrativ erschwert. Apokalyptisches Denken erzeuge Angst und versperre den Blick in die Zukunft. Dagegen wird argumentiert, dass Angst ein durchaus wichtiges Alarmsignal vor aufkommenden Gefährdungen sein kann. Oft steckt hinter der Angst auch die Sorge um den Verlust des erarbeiteten Wohlstandes und die Sorge um hohe finanzielle Belastungen. Es brauche in solch elementaren Veränderungsprozessen mehr Empathie für Schwächere.
  • In Deutschland ist derzeit die Aufregung besonders groß, was wenig verständlich erscheint, wenn man bedenkt, dass in Dänemark bereits seit 2013 der Einbau von Gas- und Ölheizungen in Neubauten verboten ist. Deutschland ist anders als immer behauptet im internationalen Vergleich keineswegs der große Vorreiter. (https://www.fr.de/politik/aufregung-oel-gasheizung-daenemark-energie-klima-habeck-zr-92162405.html).
  • Niemand sagt den Leuten, dass ihnen demnächst die Gas- und Ölpreise über den Kopf wachsen könnten. Das wird von denen, die sich über die Vorgaben der Regierung empören, nicht thematisiert. Im Grunde ist es unverantwortlich, die Kosten so in die Zukunft zu verschieben.
  • Kennzeichen einer Demokratie ist nicht die Vorstellung von einem ‚Einig Volk‘. Die Lebens- und Funktionsfähigkeit einer demokratischen Staatsform hängt davon ab, wie politische Gegensätze dargestellt und ausgetragen werden, dennoch geleitet von verbindlichen Grundwerten und Verfahrensweisen, an die sich alle halten.
  • In der Zeit, als das Konfliktmuster Kapital und Arbeit vorherrschend war, waren die Verfahrensweisen zur Findung von Lösungen bzw. Kompromissen einfacher als heute, wo insbesondere kulturelle Wertekonflikte zu bewältigen sind. Hierzu stellt sich grundsätzlich die Frage, ob durch politische Auseinandersetzung Werte verändert werden
  • Im Bereich der Ökologie geht es auch um physikalische und biologische Zusammenhänge. Da herrschen Gesetzmäßigkeiten oder anders gesagt, die Natur diskutiert nicht. Damit wird es schwer, die üblichen Formen der Kompromissbildung anzuwenden.
  • Wir sollten nicht vergessen, dass trotz aller politischen Konflikte die große Mehrheit der Gesetze im Parlament einstimmig oder im Konsens beschlossen werden. Im Verlaufe der Diskussion wird eine weitere wesentliche Voraussetzung gelingender Demokratie angesprochen und zwar die Notwendigkeit politischer Bildung. Demokratie brauche politische Bildung.

 

Rottenburg, 26.06.2023

Karl Schneiderhan

Winfried Thaa

 

[1] Vgl. Joachim Raschke, »Politik und Wertwandel in den westlichen Demokratien« in: Aus Politik und Zeitgeschichte Heft 36 (1980), S. 23-45.

[2] vgl. Albert Hirschman, »Social Conflicts as Pillars of Democratic Market Society« in: Political Theory 22 (1994), S. 203-218. Hirschman bezieht sich u.a. auf Helmut Dubiel, »Integration durch Konflikt?« in: Jürgen Friedrichs / Wolfgang Jagodzinski (Hrsg.), Soziale Integration, Opladen 1999, S. 132-143.

[3] Hirschman, Social Conflicts as Pillars of Democratic Market Society, aaO. (FN2), S. 215.

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