Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

24.04.2023: Bastian Kaiser: Bin im Wald - Wem nützt der Wald? Was nutzt ihm selbst?

1. Einführung (Karl Schneiderhan)

„Wem nutzt der Wald? Was nützt ihm selbst?“ -  So lautet das Thema des heutigen Gesprächskreises. Wenn wir uns an die ersten Erfahrungen mit dem Wald in unserer Kindheit erinnern - für den größeren Teil der Teilnehmenden sind dies die 50er und 60er Jahre - dann konnte damals niemand erahnen, unter welchen Bedingungen wir heute über das Thema Wald diskutieren und wie dramatisch die Entwicklung sein wird.

Der Wald ist aber mehr als eine Ansammlung von Bäumen und Pflanzen. Das Verhältnis zum Wald war zu allen Zeiten und in vielen Kulturen tief in der jeweiligen Kultur verwurzelt. Volkslieder oder Zeugnisse der Literatur zeugen davon, eine romantische Sicht, die auch heute noch prägend ist. 

Wald bzw. Bäume werden seit jeher auch häufig als Metapher gebraucht, das Leben zu deuten und zu bewältigen. In diesem Zusammenhang sei an einige Redewendungen erinnert: 

„Bäume wachsen nicht in den Himmel.“ (Bei allen Erfolgen erinnern Bäume den Menschen an seine Grenzen.)

„Bäume ausreißen“ (Bedeutet Energie und Kraft haben, nichts ist zu anstrengend.)

„Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.“ (Wer sich zu sehr in Einzelheiten verliebt, verliert den Blick für das Größere Ganze.)

„Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ (Wie man andere behandelt, so werden sie einen selbst behandeln.)

In manchen Kulturen hatte der Wald gar eine religiöse Dimension. Er galt als Vermittler zwischen Erde und Himmel. Bis heute gilt er auch als Symbol für den Kreislauf des Lebens verbunden mit einer heilenden Wirkung. So erfreut sich seit einiger Zeit das ‚Waldbaden‘ größerer Beliebtheit und Erfahrungen bestätigen, ein Waldspaziergang kann den Blutdruck senken.  Zudem wählen seit Jahren immer mehr Menschen einen Wald als Bestattungsort. Diese kulturelle Dimension macht das Thema neben biologischen, ökologischen und ökonomischen Aspekten in Verbindung mit der aktuellen Ausgangslage interessant. 

Dazu hat Sebastian Kaiser ein lesenswertes und verständliches Buch geschrieben: „Bin im Wald! Mit einem Forstexperten durchs grüne Dickicht.“ In diesem Buch liefert er Fakten rund um die Relevanz der Wälder im Hinblick auf aktuelle Klima- und Nachhaltigkeitsdebatten, erzählt darin die Geschichte unserer Wälder von der Holzwirtschaft bis zu den Bereichen "Bäume im Brauchtum" und der "Wald im Märchen". Dabei lässt er uns an seiner persönlichen und beruflichen Lebensgeschichte teilhaben. Wir freuen uns, dass wir Professor Bastian Kaiser als Impulsgeber begrüßen dürfen.

Vorab möchte ich Bastian Kaiser vorstellen. Nach dem Studium der Forstwissenschaften in Freiburg mit Auslandaufenthalten in Polen und Schweden folgte 1993 die Promotion am Institut für Forstökonomie der Universität Freiburg. Zunächst sammelte er Erfahrungen in Venezuela und weiteren Ländern Lateinamerikas. Im Jahre 1998 dann der Ruf auf die neu geschaffene Professur für Angewandte Betriebswirtschaft an der Hochschule in Rottenburg und bereits 2001 vom Senat zum Rektor gewählt, danach mehrfach in dieser Funktion bestätigt. Ich erinnere mich gut an die Zeit Mitte der 90er Jahre, als die Zukunft dieser Hochschule mehr gefährdet war als gesichert galt. Dass die Hochschule mit ihrem vielfältigen Studienangebot und ihrem erweiterten Lehr- und Forschungsbereich sich bis heute behaupten konnte, ist wesentlich seinem strategischen Geschick zu verdanken. Neben dem Amt als Rektor hat er an der FHS eine Professur für Angewandte Betriebswirtschaft und Internationale Entwicklungszusammenarbeit inne. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf der Ökonomie der Forst- und Holzwirtschaft, auf Arbeiten zur Organisation, Struktur und Reform der Forstbetriebe, auf Studien zur wirtschafts-, gesellschafts- und energiepolitischen Bedeutung von Wäldern im nationalen und im internationalen Kontext sowie bei der Übertragung der Erfahrungen anwendungs- und umsetzungsorientierter Forschung und Lehre in Hochschulsysteme anderer Länder.

Beeindruckend ist auch die Zahl seiner Ehrenämter. Beispielhaft nenne ich den Vorsitz der Rektorenkonferenz der Hochschulen für angewandte Wissenschaften in BW, Mitglied im Nachhaltigkeitsbeirat Baden-Württemberg, im Landesforstwirtschaftsrat BW, im Kuratorium des Brasilienzentrums des Landes BW und Vorsitzender des Beirats der Klimaschutzagentur im Landkreis Tübingen. Bastian Kaiser engagiert sich auch ehrenamtlich an seinem Wohnort in Rottenburg, so als Vorsitzender des Fördervereins der Kreuzerfeldsporthalle oder im Kirchengemeinderat.

Für sein Engagement haben ihm die Vasilie Goldis Universität in Arad (Rumänien) 2015 die Ehrendoktorwürde verliehen und die Nationale Forsttechnische Universität der Ukraine in Lviv im Jahr 2018.

 

2. Einstiegsimpuls (Bastian Kaiser)

Zunächst ist zu klären, was genau wir unter einem Nutzen verstehen (wollen): Nutzt (uns) ein Gegenstand oder z.B. eine Pflanze einfach schon durch seine Existenz, wie eine Blume durch ihre Schönheit? Oder erst, wenn wir den Gegenstand oder die Pflanze gezielt zu Befriedigung eines individuellen Bedürfnisses gebrauchen, eventuell andere von diesem Genuss ausschließen und einen persönlichen Vorteil daraus ziehen können?

Bäume und der Wald erfüllen beide Nutzenbegriffe. Sie nutzen uns durch ihre bloße Existenz z.B. indem sie CO2 binden. Und sie nutzen uns als Erholungsraum, als Rückzugsort, als Genpool und als Brenn- und Bauholzlager.

Wie aber messen wir den Nutzen? „Was ist Ihnen der Wert einer Nachtigall wert?“. Diese und ähnliche Überlegungen machen deutlich, dass wir zwar in Werten denken und empfinden, aber in Preisen rechnen. Preise können aber nur auf Märkten erzielt werden und die meisten Waldleistungen werden nicht auf Märkten gehandelt. Für solche Leistungen – wir sprechen heute von „Ökosystemleistungen der Wälder“ gibt es deshalb keine Marktpreise. Erst seit kurzem haben Waldbesitzende unter recht hohen Auflagen die Möglichkeit, vom Bund eine anerkennende Gegenleistung in Euro dafür zu bekommen.

Das bedeutet, dass diese Gegenleistung von der Allgemeinheit an die Waldeigentümer*innen bezahlt wird. Dieser geldwerte Nutzen orientiert sich also am Eigentum und nutzt diesem unmittelbar. Wegen des freien Waldbetretungsrechts in Deutschland kommen die Waldbesuchenden und z.B. anliegende Kommunen unentgeltlich in den Genuss der nicht-marktfähigen Waldleistungen.

Inzwischen herrscht eine große gesellschaftliche Übereinkunft darüber, dass uns die Wälder weit mehr nutzen als Holz. Oder umgekehrt, dass wir weit mehr von den Wäldern nutzen als nur ihr Holz. Und zwar weit mehr von allen Wäldern – ganz egal, wem diese gehören.

Damit stellt sich die Frage, ob das den Waldbesitzenden zumutbar und ob das von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (§14 GG) gedeckt ist. Was, wenn die allgemeinen Interessen den Eigentümerzielen widersprechen oder deren Erreichen erschweren?

Dessen ungeachtet gibt es Ziele der Waldwirtschaft, für die zweifellos eine hohe Übereinstimmung zwischen den Eigentümern und den sonstigen Waldnutzenden unterstellt werden darf. Das trifft auf die Waldwirkungen auf unser Klima zu, ihre positive Wirkung zur Erhaltung einer hohen Biodiversität und damit ganz grundsätzlich auf das Ziel der Erhaltung unserer Wälder.

Im aktuellen Klimawandel ist genau diese Walderhaltung gefährdet und zugleich ist sie eines der wichtigsten Mittel, die die Menschheit dem Klimawandel entgegenzusetzen hat. Der Referent erläutert, wie die Waldwirtschaft mit diesem scheinbaren Konflikt umgeht, was sie tut, um die Wälder klimaresilienter zu machen, welche Rolle die Holznutzung dabei spielt und warum selbst die thermische Holznutzung (Verbrennung) nicht verurteilt und verboten werden sollte. Er stellt diese Überlegungen in einen internationalen Kontext und bringt sie mit aktuellen Entwicklungen wie der durch Putin ausgelösten globalen Energiekrise in Verbindung.

 

Ausführlichere Überlegungen und Hinweise zu allen Aspekten des Vortrags und er sich anschließenden Diskussion sind im Buch „Bin im Wald! – mit einem Forstexperten durchs gründe Dickicht“ zu finden. das Buch ist im März 2022 im Hirzel Verlag Stuttgart erschienen.

 

3. Diskussionsbeiträge und Antworten von Herrn Bastian Kaiser (BK)

  • Der Wald war früher dichter, er wirkt heute eher ausgedünnt, wie man im Rammert leicht feststellen kann. Dies trifft insbesondere auch auf die Waldränder zu. Ein besonderer Nutzen des Waldes war und ist es, dass er Schatten spendet. BK: Den Waldrändern wurde früher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das hat sich inzwischen geändert. Aber auch durch den Umbau zu Mischwäldern gibt es mehr Licht.
  • Die wirtschaftliche Nutzung des Waldes zur Holzproduktion und sein Nutzen als Allgemeingut stehen im Widerspruch. Hier sollte die Politik regulierend eingreifen, um den Wald als Allgemeingut besser zu schützen. BK: Es war noch nie klug, im Wald gegen die ökologischen Gesetze zu arbeiten. Obwohl z. B. eine Art Flurbereinigung im Wald oder der Anbau von Fichten-Monokulturen auf der gesamten Waldfläche kurzfristig ökonomisch besonders nutzbringend wären, wäre dies ökologisch gesehen ein Fehler. An einen öffentlichen Wald richten sich möglicherweise andere Erwartungen als an einen Privatwald. In der integrierten Waldwirtschaft soll z. B. 1 ha Wald alle Waldnutzungen erlauben. Demgegenüber sind aber auch Waldbereiche denkbar, in denen eine besondere Betonung des Naturschutzes oder des Erholungsaspektes sinnvoll ist, während in anderen Bereichen die wirtschaftliche Holzverwertung im Vordergrund stehen kann. Von der Regierung werden an Waldbesitzer zunehmend Fördergelder für ökologische Aufgaben bezahlt.
  • Sind die Folgen von Windkraftanlagen im Wald bekannt? BK: So sehr jeder Hektar Wald schmerzt, den wir für andere Zwecke aufgeben müssen, sollte man immer im Auge behalten, dass es derzeit zur Windkraft wohl kaum eine Alternative gibt.
  • Im Zuge des Klimawandels wird der Wald als Wasserspeicher immer wichtiger. BK: Im Wald sind es überwiegend die Wurzeln der Bäume, die das Wasser speichern. Schattiger Waldboden ist hierzu weniger von Bedeutung. Die Verdunstung des Wassers erfolgt über die Blätter. Außerdem erbringt der Wald durch das Reinigen von Wasser eine ökologische Leistung.
  • Im Mittelalter konnte eine durch sehr hohen Holzverbrauch ausgelöste Holzkrise mit dem vermehrten Anbau von schnellwachsenden Fichten überwunden werden. BK: Der Zuwachs des Holzbedarfs im Mittelalter, speziell nach dem 30-jährigen Krieg, war überwiegend ein Ergebnis der Industrialisierung und des Schiffsbaus, hier wurde z. B. der Begriff „Holländerstämme“ geprägt. Besonders nach Kriegen entstand immer wieder ein erhöhter Holzbedarf, sodass in diesen Phasen die schnelle Aufforstung eine vordringliche Aufgabe ist. Hier ist wieder die Fichte zu nennen, die sich schnell vermehren lässt.
  • In Tübingen sollen Holzheizwerke gebaut werden, die nach Berechnungen der BI Naturwald Tübingen 50.000 bis 70.000 Festmeter Holz benötigen, wozu rund 100.000 Bäume pro Jahr gefällt werden müssten. Ist dies mit einer nachhaltigen, lokalen Waldwirtschaft vereinbar, wenn man davon ausgeht, dass im Wald pro Jahr ca. 3% der Holzmenge nachwächst? BK: Zur Frage der Holzheizwerke in Tübingen ist zu sagen, dass ein Holzeinschlag, der die regionale Erzeugung übersteigt – also nicht nachhaltig ist -, gesetzlich verboten ist. Darüber hinaus muss man immer bedenken, welche Alternativen es im Heizungsbereich noch gibt, wenn Kohl, Gas und Öl entfallen.
  • Sollten die Pelletheizungen sich aus ihrem Nischendasein befreien und von einem nennenswerten Teil der Bevölkerung als Heizung genutzt werden: Können wir dann den Holzbedarf noch allein mit Restholz und nicht sägefähigem Holz decken? Oder wird die gesteigerte Nachfrage – wie heute schon z. B. in Rumänien sichtbar – wegen der steigenden Preise zur vermehrten Rodung von Wäldern führen? BK: Kein Baum wird wegen Pellets gefällt. Pellets werden aus Sägemehl und aus Resthölzern hergestellt, die nicht mehr anderweitig genutzt werden können. Dazu zählt in jüngerer Zeit und in seltenen Fällen auch das Trockenholz, das nicht mehr sägefähig ist. Das kann aber nur zur Erzeugung von Industriepellets verwendet werden und erfordert einen teuren Herstellungsprozess. Sollten wir mittel- und langfristig mehr Holz benötigen, um die Energiewende zu stemmen – wofür zurzeit einiges spricht – sollte man auch wieder über die Anlage von Energiewäldern nachdenken. Dabei geht es aber i.d.R. nicht um einen Rohstoff für Pellets.
  • Wie ist das Borkenkäferproblem lösbar? BK: Der Borgenkäfer ist ein Sekundärschädling, der vor allem und zuerst schon geschwächte Bäume befällt. Vom Borkenkäfer befallene Bäume sollten entnommen werden, wenn aufgrund der sonstigen Bedingungen mit einer Massenvermehrung zu rechnen ist.
  • Die bei der Verbrennung von Holz entstehenden Gase (CO2, CO und andere) sowie der Feinstaub übersteigen die in der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) festgelegten Werte deutlich. Eine saubere Holzverbrennung kann nur mit dem Verbrennungsprozess nachgelagerten Reinigungsanlagen erreicht werden. Keine Holzheizung kann die Richtlinien der TA-Luft erfüllen. BK: Wir müssen aber fragen, ob in der aktuellen Situation noch alle Gesetze klug sind und ob sie bei einer erneuten Nutzungsabwägung anders ausfallen könnten. Bei der Bewertung der Verwendung von Gas, Kohle und Öl als Brennstoff werden z.B. die Transportaufwendungen, die Energie für die Förderung und Raffinierung sowie technische Risiken in der Produktion und im Transport und auch politische Risiken sowie die bei der Förderung entstehenden Emissionen ausgeblendet. Risiken, die die Holzenergie nicht hat!

 

 4. Dank und Abschluss

Herr Schneiderhan bedankt sich beim Referenten für dessen interessanten und verständlichen Impuls und für seine erhellenden Erklärungen sowie bei den Teilnehmern für ihre rege Beteiligung.

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