Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

29.01.2019: "Die Gemeinwohl-Ökonomie" – Wirtschaftsmodell der Zukunft? - Das Buch von Christian Felber

  *** !!! NEU: Am Ende des Textes können Sie Kommentare und Beiträge hinzufügen. Klicken Sie auf den Link Schreib einen Kommentar !!! *** 

Dokumentation

 

1. Einführung (Karl Schneiderhan)

Zwei Beispiele zum Einstieg

Bei der Vorbereitung auf den heutigen Gesprächskreis habe ich mich an jene traditionellen schwäbischen Unternehmer aus meiner Kindheit und Jugendzeit erinnert, die es in unserer Kleinstadt gab. Was diese kennzeichnete war ihr Interesse, gute Ware zu produzieren, den Lebensunterhalt für die Mitarbeitenden zu sichern und das Gemeinwesen zu unterstützen. Wenigstens nach außen hin schien, so wichtig dies für sie sicherlich auch war, die geldwirtschaftliche Orientierung eher zweitrangig zu sein. Dieser Blick in die Geschichte deutet bereits an, was mit „Gemeinwohl-Ökonomie“ gemeint sein kann.

Dazu das Kontrastprogramm, jüngst veröffentlicht in ‚swr aktuell’ sowie in der Ausgabe des Schwäbischen Tagblattes vom 29.01.2029. Dort ist zu lesen: „Dieter Zetsche wird jährlich mindestens 1,05 Mio. € Ruhegehalt bekommen… Wie jede Führungskraft hat er zusätzlich Anspruch auf einen jährlichen Kapitalbaustein aus dem aktuellen Altersvorsorgesystem von rechnerisch etwa 500.000 €. Wechsel Zetsche … In den Aufsichtsrat, gibt es außerdem weitere Bezüge.“ (dpa)

Krasser können die Gegensätze nicht sein.

 

Was meint der Begriff ‚Gemeinwohl’?

Bevor wir uns mit dem Modell von Felber näher befassen, ist es hilfreich, die etymologische Bedeutung des Wortes Gemeinwohl zu erschließen. Bereits zur Zeit der Griechen war das Gemeinwohl ein zentraler Schlüsselbegriff für das Zusammenleben im Gemeinwesen. Im Griechischen meint dieses Wort: gemeinsam, zusammen, das Ganze und nützlich, förderlich, angemessen, versöhnen z. B. von Interessen und Gegensätzen. So war bereits für den griechischen Philosophen Aristoteles das Ziel der Politik das Glück ihrer Bürger. Aus dem Lateinischen kennen wir die Begriffe ‚salus publica’ (öffentliches Wohl) und ‚bonum commune’ (Wohl des Gemeinwesens). Dieser Begriff will verdeutlichen: Jedes Teil ist immer Teil eines Ganzen, sozusagen eines Systems, wie z. B. der menschliche Organismus, der nur als Ganzes lebensfähig ist, vorausgesetzt dass die Teile gesund sind und funktionieren. Jedes Teil hat seine je eigene Funktion, aber nicht allein, sondern nur bezogen auf das Ganze. Der Pädagoge E. Spranger spricht einmal davon, eine Gesellschaft kann nur überleben, wenn jeder ein „Gewissen fürs Ganze“ hat. Gemeinwohl wird also verstanden als Gegenpol zu einer macht- und interessengeleiteten bzw. einer ausschließlich geldwirtschaftlich orientierten Ökonomie.

 

Wie kann nun heute ‚Gemeinwohl’ garantiert werden?

Seit einigen Jahren gibt es in der Wissenschaft neue Ansätze, bei der die finanziell-ökonomische Wertschöpfung nur einen Aspekt in der Unternehmensphilosophie darstellt. Eines davon wollen wir heute vorstellen und zur Diskussion stellen und zwar von Christian Felber, das er vor ca. 10 Jahren entwickelt hat und das inzwischen in vielen Kreisen diskutiert und bereits in zahlreichen Unternehmen Anwendung findet. In einer Rezension zu seinem Buch wird festgestellt, dieses Modell sei nicht für reale, sondern für ideale Menschen gedacht. Das verspricht eine spannende Diskussion.

 

2. Impuls zum Buch von Christian Felber (Wolfgang Hesse)

Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist

... auf wirtschaftlicher Ebene eine lebbare, konkret umsetzbare Alternative für Unternehmen verschiedener Größen und Rechtsformen. Der Zweck des Wirtschaftens und die Bewertung von Unternehmenserfolg werden anhand gemeinwohl-orientierter Werte definiert.

... auf politischer Ebene ein Motor für rechtliche Veränderung. Ziel des Engagements ist ein gutes Leben für alle Lebewesen und den Planeten, unterstützt durch ein gemeinwohl-orientiertes Wirtschaftssystem. Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung sind dabei die zentralen Werte.

... auf gesellschaftlicher Ebene eine Initiative der Bewusstseinsbildung für Systemwandel, die auf dem gemeinsamen, wertschätzenden Tun möglichst vieler Menschen beruht. Die Bewegung gibt Hoffnung und Mut und sucht die Vernetzung mit anderen Initiativen.

… versteht sich als ergebnisoffener, partizipativer, lokal wachsender Prozess mit globaler Ausstrahlung. Von Österreich aus breitete sich die GWÖ-Idee über Deutschland, die Schweiz, Italien und Spanien bis in die Benelux-Staaten, nach Großbritannien, Skandinavien und in osteuropäische Länder aus. Mittlerweile ist sie bereits in Lateinamerika, den USA und in Afrika angekommen.

 

Die GWÖ-Community arbeitet auf verschiedenen Ebenen zusammen:

Botschafter

Viele Prominente aus verschiedenen Bereichen unterstützen die GWÖ

GWÖ-Sprecher

Die 12 Sprecher vertreten die GWÖ bei Medienanfragen, Podiumsdiskussionen und Interviews

Gemeinwohl Unternehmen

Mehr als 2000 Unternehmen unterstützen die GWÖ.
Rund 400 davon sind Mitglied oder haben bereits eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Zu den größeren Betrieben zählen in Deutschland die Sparda-Bank München oder der Outdoorhersteller Vaude. Immerhin beschäftigten sich einige Großunternehmen mit der GWÖ, etwa die Otto Group mit 55.000 Beschäftigten. Otto-Nachhaltigkeits-Manager Stephan Engel: „Den Gesamtansatz finde ich gut und inspirierend und auch innovationsfördernd.“

Akteurinnen Kreisehttps://www.ecogood.org/de/community/akteurinnen-kreise/

Viele internationale Teams arbeiten in bestimmten Kernbereichen der GWÖ.

Regionalgruppen und Vereine

GWÖ-Gruppen sind weltweit aktiv als Regionalgruppe oder Verein

 

Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie setzt sich aus zwanzig Schlüsselelementen zusammen. Dabei handelt es sich um Denkanstöße für eine breite Diskussion, die sich mit anderen Ideen und Alternativen befruchten und in demokratischen Prozessen von unten diskutiert und entschieden werden sollen.

  1. Die Gemeinwohl-Ökonomie beruht auf bestimmten Grundwerten: Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind gelingende Beziehungen das, was Menschen am glücklichsten macht und am stärksten motiviert.
  2. „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“, steht wörtlich in Artikel 151 in der Verfassung des Freistaates Bayern. Und „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“, lesen wir im deutschen Grundgesetz. In der Gemeinwohlökonomie wird der rechtliche Anreizrahmen für die Wirtschaft umgepolt von Gewinnstreben und Konkurrenz auf Gemeinwohlstreben und Kooperation. Unternehmen werden für gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit belohnt. Das Ziel der wirtschaftlichen Akteure wird also mit den Zielen der Verfassung in Übereinstimmung gebracht.
  3. Das Geldverdienen ist nicht das Ziel des wirtschaftlichen Handelns sondern nur das Mittel. Wirtschaftlicher Erfolg wird nicht länger am Mittel (Geld, Kapitalrendite) gemessen, sondern mit nichtmonetären Nutzwertindikatoren am Ziel, d.h. an Bedürfnisbefriedigung, Lebensqualität und Gemeinwohl. Auf volkswirtschaftlicher Ebene wird das BIP als Erfolgsindikator vom Gemeinwohl-Produkt abgelöst, auf der Unternehmensebene die Finanzbilanz von der Gemeinwohl-Bilanz; alle größeren Investitionen und Kreditansuchen werden einer Gemeinwohl-Prüfung unterzogen.
  4. Die Gemeinwohl-Bilanz wird zur Hauptbilanz aller Unternehmen. Sie misst, wie gut die das Gemeinwohl bildenden Werte wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, Soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung in den Unternehmen gelebt werden. Je besser die Gemeinwohl-Bilanzergebnisse der Unternehmen in einer Volkswirtschaft sind, desto größer ist das Gemeinwohl-Produkt. Unternehmen mit guten Gemeinwohl-Bilanzen erhalten rechtliche Vorteile: niedrigere Steuern, geringere Zölle, günstigere Kredite, Vorrang beim öffentlichen Einkauf und bei Forschungsprogrammen usw. Dadurch werden ethische, ökologische und regionale Produkte und Dienstleistungen billiger als unethische, und ethische Unternehmen setzen sich auf dem Markt durch.
  5. Die Finanzbilanz wird zur Mittelsbilanz. Finanzgewinn wird vom Zweck zum Mittel und dient dazu, den neuen Unternehmenszweck (Beitrag zum allgemeinen Wohl) zu erreichen. Finanzielle Überschüsse dürfen wie heute verwendet werden für: reale Investitionen (die das Gemeinwohl nicht mindern), Rückzahlung von Krediten, Rücklagen in einem begrenzten Ausmaß; begrenzte Ausschüttungen an die MitarbeiterInnen sowie für zinsfreie Kredite an Mitunternehmen. Nicht verwendet werden dürfen Überschüsse für: Investitionen auf den Finanzmärkten (diese soll es gar nicht mehr geben), feindliche Aufkäufe anderer Unternehmen, Ausschüttung an Personen, die nicht im Unternehmen mitarbeiten, sowie Parteispenden. Im Gegenzug entfällt die Steuer auf Unternehmensgewinne
  6. Da Gewinn nur noch Mittel, aber kein Ziel mehr ist, können Unternehmen ihre optimale Größe Sie müssen nicht mehr Angst haben, von anderen Unternehmen gefressen zu werden, und nicht mehr wachsen, um größer, stärker oder profitabler zu sein als andere.
  7. Durch die Möglichkeit entspannt und angstfrei die optimale Größe einzunehmen, wird es viele kleine Unternehmen in allen Branchen geben. Da sie nicht wachsen müssen, fällt ihnen die Kooperation und Solidarität mit anderen Unternehmen leichter. Die Unternehmen bilden zunehmend eine solidarische Lerngemeinschaft, die Wirtschaft wird zu einer Win-win-Anordnung.
  8. Die Einkommens- und Vermögensungleichheiten werden in demokratischer Diskussion und Entscheidung begrenzt: die Maximal-Einkommen auf zum Beispiel das Zehn- oder Zwanzigfache des gesetzlichen Mindestlohnes; Privatvermögen auf zum Beispiel zehn oder dreißig Millionen Euro; das Schenkungs- und Erbrecht auf zum Beispiel 500000 oder eine Million Euro pro Person, denn gleiches „Startkapital“ bedeutet höhere Chancengleichheit.
  9. Bei Großunternehmen gehen ab einer bestimmten Größe (zum Beispiel ab 250 Beschäftigten) Stimmrechte und Eigentum teil- und schrittweise an die Beschäftigten und die Allgemeinheit über. Die Öffentlichkeit könnte durch direkt gewählte „regionale Wirtschaftsparlamente“ vertreten werden. Die Regierung soll keinen Zugriff/kein Stimmrecht in öffentlichen Unternehmen haben.
  10. Das gilt auch für die „demokratischen Allmenden“, die dritte Unternehmenskategorie neben einer Mehrheit (kleiner) Privatunternehmen und Großunternehmen mit gemischten Eigentumsformen. „Demokratische Allmenden“ sind Gemeinwirtschaftsbetriebe im Bildungs-, Gesundheits-, Sozial-, Mobilitäts-, Energie- und Kommunikationsbereich: die Daseinsvorsorge.
  11. Eine wichtige „demokratische Allmende“ ist die Demokratische Bank. Sie dient wie alle Unternehmen dem Gemeinwohl und wird wie alle „demokratischen Allmenden“ vom demokratischen Souverän kontrolliert und nicht von der Regierung. Ihre Kernleistungen sind garantierte Sparvermögen, kostenlose Girokonten, kostengünstige Kredite und Beteiligung an der regionalen Gemeinwohl-Börse. Der Staat finanziert seine Schulden primär über zinsfreie Zentralbankkredite. Die Zentralbank erhält das Geldschöpfungsmonopol und wickelt den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr ab, unter anderem zur Verhinderung von Steuerflucht. Die Finanzmärkte in der heutigen Form wird es nicht mehr geben.
  12. Nach dem Vorschlag von John Maynard Keynes wird eine globale Währungskooperation errichtet mit einer globalen Verrechnungseinheit („Globo“, „Terra“) für den internationalen Wirtschaftsaustausch. Auf lokaler Ebene können Regio-Gelder die Nationalwährung ergänzen. Um sich vor unfairem Handel zu schützen, initiiert die EU eine Fair-Handelszone („Gemeinwohl-Zone“) in der gleiche Standards gelten oder die Zölle sich an der Gemeinwohl-Bilanz des Hersteller-Unternehmens orientieren. Langfristziel ist eine globale Gemeinwohl-Zone als UN-Abkommen.
  13. Der Natur werden ein Eigenwert und eigene Rechte zugestanden, weshalb sie nicht zu Privateigentum werden kann. Wer ein Stück Land für den Zweck des Wohnens, der Produktion oder der Land- und Forstwirtschaft benötigt, kann eine begrenzte Fläche kostenlos oder gegen eine Nutzungsgebühr nutzen. Die Überlassung ist an ökologische Auflagen und an die konkrete Nutzung geknüpft. Damit sind Landgrabbing, Großgrundbesitz und Immobilienspekulation zu Ende. Im Gegenzug entfällt die Grundvermögenssteuer.
  14. Wirtschaftswachstum ist kein Ziel mehr, hingegen die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks von Personen, Unternehmen und Staaten auf ein global nachhaltiges Niveau. Das wirtschaftliche Handeln wird um die ökologische Dimension erweitert. Unsere Freiheit, einen beliebigen Lebensstil zu wählen, endet dort, wo sie die Freiheit anderer Menschen beschneidet, denselben Lebensstil zu wählen oder auch nur ein menschenwürdiges Leben zu führen.
  15. Die Erwerbsarbeitszeit wird schrittweise auf das mehrheitlich gewünschte und nachhaltige Maß von zwanzig bis 33 Wochenstunden reduziert. Dadurch wird Zeit frei für drei andere zentrale Arbeitsbereiche: Beziehungs- und Betreuungsarbeit (Kinder, Kranke, SeniorInnen), Eigenarbeit (Persönlichkeitsentwicklung, Kunst, Garten, Muße) sowie politische und Gemeinwesenarbeit. Infolge dieser ausgewogeneren Zeiteinteilung würde der Lebensstil konsumärmer, suffizienter und ökologisch nachhaltiger.
  16. Jedes zehnte Berufsjahr ist ein Sabbatjahr und wird durch ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziert. Die Menschen können im Sabbatjahr tun, was sie wollen.
  17. Die repräsentative Demokratie wird ergänzt durch direkte und partizipative Demokratie. Der Souverän soll seine Vertretung korrigieren, selbst Gesetze beschließen, die Verfassung ändern, über völkerrechtliche Verträge abstimmen und Grundversorgungsbereiche - Bahn, Post, Banken - kontrollieren können.
  18. Alle inhaltlichen Eckpunkte der Gemeinwohl-Ökonomie sollen in einem breiten Basisprozess durch intensive Diskussion ausreifen, bevor sie in einen demokratischen Wirtschaftskonvent eingespeist und mit Alternativen kontrastiert werden. Über die finalen Alternativen stimmt der demokratische Souverän ab. Was angenommen wird, geht in die Verfassung ein und kann - jederzeit - nur wieder vom Souverän selbst geändert werden. Zur Vertiefung der Demokratie können weitere Konvente einberufen werden: Bildungs-, Medien-, Daseinsvorsorge-, Demokratiekonvent ...
  19. Um die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie von Kind an vertraut zu machen und zu praktizieren, muss auch das Bildungswesen gemeinwohlorientiert aufgebaut Das verlangt eine andere Form von Schule sowie andere Inhalte, zum Beispiel Wertekunde, Kommunikationskunde, Demokratiekunde, Naturkunde, Kunsthandwerk und Körpersensibilisierung.
  20. Da in der Gemeinwohl-Ökonomie unternehmerischer Erfolg eine ganz andere Bedeutung haben wird als heute, werden auch andere Führungsqualitäten gefragt sein: Nicht mehr die rücksichtslosesten, egoistischsten und »zahlenrationalsten« Manager werden gesucht, sondern Menschen, die sozial verantwortlich und kompetent handeln, mitfühlend und empathisch sind, Mitbestimmung als Chance und Gewinn sehen und nachhaltig langfristig denken. Sie werden die neuen Vorbilder sein.

 

Grenzen und Kritik

(Deutschlandfunk v. 08.03.2018: Wie viel Nachhaltigkeit lässt die Marktwirtschaft zu?)

Durchsetzen wird sich ein am Gemeinwohl orientiertes Wirtschaften in unserer Demokratie nur, wenn sich dafür eine politische Mehrheit findet. Die GWÖ findet zwar Widerhall in der Politik. So will Baden-Württemberg einen Landesbetrieb entsprechend zertifizieren und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich im September 2015 mit großer Mehrheit für eine Integration der GWÖ in den Rechtsrahmen der Union und ihrer Mitgliedsstaaten ausgesprochen. Aber eine politische Mehrheit für wirklich weitreichende Änderungen unserer Wirtschaftsordnung ist aktuell nicht einmal im Ansatz erkennbar. Eine Etablierung der Gemeinwohl-Bilanz als weitere Zertifizierungsmethode für nachhaltiges unternehmerisches Wirtschaften dagegen schon. Solange sich die Regeln nicht für alle Unternehmen ändern, werden die am Gemeinwohl orientierten Unternehmer an Grenzen stoßen.

 

3. Diskussion im Plenum

  • Wer nimmt die Beurteilung der Gemeinwohlorientierung eines Betriebes vor?
  • Wie gestaltet sich der demokratische Prozess? Wer ist der demokratische Souverän?
  • Die Gemeinwohl-Zertifizierung ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Neben repräsentativer Demokratie gibt es im GWÖ-Modell mehr direkte Demokratieanteile und demokratisch geführte Betriebe in öffentlicher Hand.
  • Es gibt einen Unterschied zwischen gemeinnützig im Sinne des Steuerrechtes und dem Gemeinwohl im Sinne Christian Felbers (Familienstiftungen sind nicht in jedem Fall gemeinnützig, sie dienen z. B. auch dem Erhalt der Firma und sind in diesem Fall nicht gemeinnützig)
  • Das zentrale Interesse der Gemeinwohlökonomie sind gelingende Beziehungen, dies ist ein wertorientierter Ansatz und es geht um Entwicklung von entsprechenden Haltungen.
  • Wie kann die Qualität von Beziehungen gemessen werden? Wer soll entscheiden, welche betrieblichen Aktivitäten dem Gemeinwohl dienen und welche nicht?
  • Wie ist die Umsetzung im Kontext der Globalisierung möglich? Das Beispiel der Firma Wagner Solar zeigt, dass ein gemeinwohl-zertifizierter betrieb sehr wohl durch internationale Konkurrenz in Bedrängnis geraten kann und sich neu orientieren muss.
  • Bereits im Grundgesetz sind die grundlegenden Werte der GWÖ enthalten, z. B. Eigentum verpflichtet oder dass jeder für Schäden, die er verursacht, aufkommen muss und diese nicht von der Allgemeinheit getragen werden müssen.
  • Auch aus der Hirnforschung wissen wir, dass der Mensch primär angelegt ist auf Kooperation, nicht auf Konkurrenz.
  • Neu zu definieren ist, was öffentliche Daseinsvorsorge an Dienstleistungen umfasst. Nachdem viele öffentliche Betriebe der Daseinsvorsorge (z. B. Stadtwerke) „privatisiert“ wurden, zeigt sich nun, dass dies ein Irrweg war.
  • Die Deutsche Bahn ist ein anschauliches Beispiel, welche Folgen es hat, wenn die gemeinwohlorientierte Sicht aus dem Blick gerät. In der Folge gibt es einen erheblichen Nachholbedarf hinsichtlich der Qualität der Infrastruktur.
  • Ein weiteres Beispiel ist der Luftverkehr. Mehr Wachstum bedeutet zwar mehr finanziellen Gewinn aber eben auch mehr Umweltbelastung.
  • Das gemeinnützige Modell ist einmalig in Europa. Dieses kennt die Eu nicht. Auch kennen wir weit mehr Mitbestimmungsrechte als z. B. in den USA.
  • Der Gedanke der Gemeinnützigkeit war nach dem Krieg weit mehr ausgeprägt als heute. So gab es damals z. B. die bekannten gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften, die vielen Menschen, auch weniger Verdienenden, zu günstigen Konditionen Wohnraum geschaffen haben.
  • Als Beispiel für ein gemeinwohlorientiertes Denken wird auf den Bürgerentscheid in Garmisch-Partenkirchen verwiesen, bei dem die Bürger mit Mehrheit gegen die Abhaltung von Olympischen Spielen votiert haben, um einen großen Teil ihrer öffentlichen Daseinsvorsorge zu erhalten.
  • Es wird auch angesprochen, dass für Verbraucher Produkte zu teuer sind, z. bei Waren von Vaude, die bereits eine Gemeinwohlbilanz vorlegen. Dabei ist aber zu bedenken, dass viele Preise nicht alle Herstellungs- und Folgekosten berücksichtigen. So wird zwar der Atomstrom günstig erzeugt, die Folgekosten trägt aber die Allgemeinheit. Oder wenn Rynair billige Flüge anbietet, seinen Mitarbeitern aber Hungerlöhne zahlt.
  • Das Modell von Felber findet inzwischen in Österreich breite Zustimmung bzw. Anwendung, in Deutschland gibt es zahlreiche Regionalgruppen und weitere sind in Spanien und USA im Aufbau. Ziel ist, einen breiten zivilgesellschaftlichen, also parteiübergreifenden Diskurs über diesen Ökonomieansatz zu organisieren. Man geht davon aus, dass inzwischen ca. 400 Unternehmen, darunter die Sparda-Bank München sowie das Outdoor Unternehmen Vaude in Tettnang, zählen zu den Unterstützern des Modells der Gemeinwohl-Ökonomie. Davon veröffentlichen rund 1/$ freiwillig eine Gemeinwohlbilanz.
  • Im Koalitionsvertrag BW ist dieses Modell ebenfalls aufgenommen, umgesetzt sei aber bisher noch nichts.
  • Als weiteres Beispiel wird der genossenschaftlich organisierte Energiebetrieb der Gemeinde Schönau im Schwarzwald genannt.
  • Es wird deutlich, dass Ideen dieses Modells im bestehenden System umsetzbar sind, wie z. B. Nachhaltigkeit, Begrenzung des Wachstums, Bestandsicherung im Krisenfall.
  • Die Umsetzung der GWÖ ist von der Entwicklung eines demokratischen Willensbildungsprozesses abhängig. Quasi von „von unten nach oben“ muss geklärt werden, wie wir in Zukunft leben wollen. Dieser Diskurs wird von außerhalb in die politischen Parteien getragen. Die GWÖ ist also kein fertiges Konzept, das irgendwann einfach beschlossen werden kann.

 

 

30.01.2019

Karl Schneiderhan

 

 

Kommentare?!?

Schick uns Deinen Text