Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

25.10.2021: Flächenverbauch und Landschaftszerstörung

1. Begrüßung und Eröffnung (Prof. Dr. Winfried Thaa)

Viele Dörfer in unserer Gegend planen Neubaugebiete, so soll z. B. in Reusten die Einwohnerzahl um ein Viertel steigen. Es wird von den Gemeinden argumentiert, dass eine hohe Nachfrage nach Baugrundstücken sie zum Handeln zwinge. Die Landschaft verändert sich durch die vielen Neubaugebiete drastisch, grüne Flächen verschwinden, ein Beispiel dafür ist Hagelloch. Herr Thaa begrüßt den Referenten, Herrn Manuel Haus vom Bürgerprojekt Zukunft, der in Tübingen Biochemie studierte, sich zur Umweltfachkraft weiterbildete und 20 Jahre Geschäftsführer des Umweltzentrums Tübingen war

 

2. Impuls (Dr. Manuel Haus, Bürgerprojekt Zukunft Tübingen)

Der Referent, Herr Dr. Manuel Haus vom Bürgerprojekt „Zukunft Tübingen neu denken, anders handeln", hat uns freundlicherweise einen Link zu seinem Vortrag zur Verfügung gestellt. Klicken Sie auf diesen Link Vortrag Dr. Haus, um den Vortrag auf den Bildschirm zu bringen.

Leider enthielt der Bericht im Schwäbischen Tagblatt zwei kleine Fehler: Die etwa 60 ha Baugebiete im FNP-Entwurf beziehen sich auf Tübingen, nicht auf Rottenburg. Und das Programm heißt "Optiwohn" und nicht " Optiplan".

 

3. Diskussionsbeiträge der Teilnehmer

  • Der Bedarf an Wohnfläche verändert sich im Verlaufe des Lebens. Eine junge Familie mit 2 oder 3 Kindern benötigt eine größere Wohnung als ein Rentnerehepaar. Die Bebauung müsste den Lebenszyklen der Menschen angepasst werden. Die Ansprüche der Menschen ändern sich im Laufe des Lebens.
  • Ältere Menschen könnten ihr mittlerweile zu großes Ein- oder Zweifamilienhaus verkaufen, um in eine stadtnahe kleinere Eigentumswohnung zu ziehen. Dem stehen die derzeit hohen Kaufpreise solcher Wohnungen entgegen. Weil die Marktpreise steigen, könnte der Staat z. B. mit einer reduzierten Grunderwerbssteuer gegensteuern. Außerdem müssten die Innenstädte den Bedürfnissen der älteren Menschen nach Kultur-Verkehrs- und Gesundheitsangeboten besser entsprechen.
  • Da es zu viel Geld in der Gesellschaft gibt und diese Gelder in Finanzprodukten kaum attraktive und sichere Anlagemöglichkeiten finden, drängt dieses Kapital in den Immobilienmarkt und treibt die Preise hoch. Aus Sicht des Einzelnen ist und bleibt der Erwerb einer Immobilie eine ziemlich sichere Geldanlage und Altersvorsorge.
  • Wir sind der Souverän, wir sollten gesellschaftlich und politisch darüber diskutieren, welche Visionen für Bauen und Wohnen wir in den nächsten 20-30 Jahren verwirklichen wollen.
  • Die Zersiedlung in Tübingen ist hausgemacht. Die Universität hat z. B. durch Konzentration im Gesundheitswesen viele Arbeitsplätze aus der Umgebung abgezogen und nach Tübingen gebracht. Gutverdiener aus dem Cyber-Valley drängen in den Wohnungsmarkt und treiben die Preise nach oben. Infrastrukturprojekte - wie z. B. die Achsenorientierung - führen zur Zersiedelung und zu mehr Autoverkehr.
  • Es gibt Alterativen zum teuren Bauen, z. B. in Ulm und Wien. Während Tübingen Baugrundstücke kauft und danach an Bauwillige weiterverkauft, können mit dem Modell der Erbpacht die Kosten für den Grundstückserwerb deutlich reduziert werden. Daneben brauchen wir mehr Wohnungen im kommunalen Eigentum.
  • Gewerbeansiedlungen können aus Sicht der Gemeinde ein Nullsummenspiel sein, weil die Gemeinde den Einnahmen aus der Gewerbesteuer ihre Aufwendungen für Ansiedlung und Betrieb der vom Gewerbe benötigten Infrastruktur gegen rechnen sollte. Hier legt der Referent noch eine Untersuchung vor.
  • In Rottenburg sind die Stadtteile in den letzten Jahren stark gewachsen, Warnungen vor zu viel Flächenverbrauch gibt es schon seit langem. Realität ist aber: Dieser Konflikt ist nicht einfach auflösbar, kann aber durch entsprechende Maßnahmen entscheidend reduziert werden. In einem Bürgerentscheid sprachen sich im Oktober 2018 70% der abgegebenen Stimmen gegen die Ausweisung eines neuen, kernstadtnahen Gewerbegebietes aus. Dieses Votum zeigt, es gibt inzwischen dafür eine höhere Sensibilität. Stattdessen brauchen wir in der Stadt mehr altersgerechten Wohnraum. Es ist aber die Frage, ob dafür der politische Wille vorhanden ist. Der Abriss des alten KSK-Gebäudes am Marktplatz und die geplante Nutzung des Jeckel-Hauses zielen genau in eine andere Richtung.
  • Allgemeine Einsichten stehen bei der Bodennutzung konkreten Interessen gegenüber, denn junge Leute wollen Grundstücke kaufen und bauen.
  • Es wird eigentlich immer wieder falsch gebaut. Junge Leute brauchen mehr Raum, es sollten aber auch passende Wohnungen für Ältere entstehen. Gefragt wären flexible Grundrisse, die es erlauben, größere Wohnungen zu teilen. Aber es gibt auch Widerstand gegen die verdichtete Bauweise. Es gilt also in der Bevölkerung und in der Kommunalpolitik ein anderes Bewusstsein zu schaffen, erste Diskussionen beginnen in den Ortschaften. In den Kommunen sollten Bauentscheidungen ausführlich mit den Bürgern diskutiert und begründet werden. Jedoch ist die Ökonomie zu dominant, Bauträger haben kein Interesse am preiswerten Bauen auf kleinem Raum.
  • Auch wenn infrastrukturelle Gegebenheiten unsere Lebensstile bestimmen, muss man dem nicht folgen, sondern Strukturen kann man ändern. Ziele müssen neu gedacht werden, hin zu mehr Genügsamkeit und Umweltverträglichkeit. Beispiele für neue Wohnmöglichkeiten sind zu finden in der Schweiz („Neustart“), in Tübingen in der Königsberger Straße oder am Hechinger Eck („Palazzo“). In einem Tübinger Projekt für gemeinschaftliches Wohnen hat jeder Bewohner 35 m² private Wohnfläche, der Zugang erfolgt durch die Gemeinschaftsräume, es gibt nur eine Gemeinschaftsküche, was auch nicht gerade ideal für jeden ist.
  • Wir werden für das Wohnungsproblem viele unterschiedliche Lösungen brauchen, es wird nicht die „eine“ richtige Lösung geben.

 

4. Abschluss

Herr Thaa dankt dem Referenten für seinen interessanten Vortrag und den Teilnehmern für die lebhafte Diskussion und das breite Spektrum der angesprochenen Themen.

 

Rottenburg, 26.10.2021

Wolfgang Hesse

 

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