Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

26.03.2019: Die Bedeutung der Kommunen im demokratischen Gemeinwesen - Gespräch mit OB Stephan Neher

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Dokumentation

 

 

Gesprächspartner:

Stefan Neher, Oberbürgermeister und CDU- Kreisvorsitzender

Moderation:

Karl Schneiderhan

 

 

Begrüßung und Hinweise zum Ablauf   

Herr Karl Schneiderhan (KS) begrüßt Oberbürgermeister Neher (OB) und die Gesprächsteilnehmer (TN), bedankt sich für die Teilnahme und gibt einige Hinweise zum Ablauf.

 

Themenbereich1:  Bedeutung und Stellenwert der Kommunen

KS: Worin sehen Sie die aktuellen Herausforderungen der Kommunen als Teil unseres demokratischen Gemeinwesens im Unterschied zu Bund und Land?

OB: Die Preußische Städteordnung von 1808 regelt die kommunale Selbstverwaltung, ebenso wurde diese in der Weimarer Reichsverfassung wie im Grundgesetz der BRD garantiert. Kommunen erlassen selbst keine Gesetze, sondern führen Gesetze des Landes oder des Bundes aus. Der Gemeinderat ist in diesem Sinne kein Parlament. Die Selbstverwaltung beinhaltet die Finanzverwaltung, Personalauswahl und -verwaltung und z. B. das Anwenden der Baugesetze, die zwar vom Bund erlassen, aber von der Kommune vor Ort umgesetzt werden. Außerdem sind Kommunen und Landkreise für die Wasserversorgung, den Nahverkehr und Ausstattung der Schulen verantwortlich. Die Kommune ist somit Teil des förderalen Systems der Bundesrepublik. In Baden-Württemberg ist die Finanzausstattung der Kommunen vergleichsweise gut. Das Stadt-Landgefälle ist weniger deutlich ausgeprägt als etwa in zentralistischen Ländern wie z. B. der Türkei oder Rumänien. In Hessen wechseln z. B. nach einer OB-Wahl die Verwaltungsspitzen je nach Parteizugehörigkeit des gewählten OB, wohingegen das in BW nicht der Fall ist. Dies und die OB-Amtsdauer von 8 Jahren sorgen für ein besseres Funktionieren der Verwaltung. Kommunalpolitik ist hier weniger von Parteiinteressen gesteuert sondern eher sachorientiert.

KS: Welche Einengungen bzw. Gefährdungen der kommunalen Selbstverwaltung sehen Sie?

OB: Überregionale Planungen, z. B. des Regionalverbandes schränken die kommunalen Planungen ein (vgl. Interesse der Stadt, einen Elektrofachmarkt auf dem DHL-Gelände anzusiedeln). Kleinstgemeinden sind benachteiligt, da deren Verwaltungsstrukturen auf Dauer zu teuer sind.

TN: Kleinteilige Strukturen gelten aber als bürgernah. Wie gut können Verwaltungen ab einer bestimmten Größe auf aktuelle Entwicklungen reagieren?

TN: Der Rottenburger Gemeinderat bekommt kaum Rückmeldungen aus der Bevölkerung. Die Fraktionen sollten sich den Bürgerfragen stellen.

OB: Zum Beispiel die regionale Bildungspolitik braucht Akteure von einer gewissen Größe.

TN: Bildungspolitik muss sinnvoll sein.

OB: Der Kommune sind bei der Bildungspolitik Grenzen gesetzt, da die inhaltliche Gestaltung der Bildung in der Zuständigkeit des Landes liegt. Die Kommune ist nur für Ausstattung der Schulen und Schulgebäude zuständig. So ist es z. B. Sache der Kommunen, im Rahmen des Digitalisierungspaktes für die entsprechende Ausstattung der Schulen mit IT-Technik zu sorgen, wofür der Bund auch Mittel bereitstellt.

TN: Durch wen wird das Bildungswesen evaluiert? Ist im Bildungswesen die derzeitige Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Kommune und Land sinnvoll?

OB: In den Grundschulen sollte die Verantwortung komplett auf die Kommunen übertragen werden. Jetzt ist es so, dass das Land für den Unterricht zuständig ist, während vor Unterrichtsbeginn bzw. nach Unterrichtsende die Kommune für die Betreuung der Schüler zu sorgen hat.

TN: Die Mitwirkung der Eltern am Schulgeschehen müsste verbessert werden. Die Zuständigkeit von Land und Kommune für die Bildung sollte überprüft werden. Welche Unterschiede gibt es zwischen armen und reichen Kommunen?

OB: Es gibt auch zwischen den Kommunen einen gewissen Finanzausgleich. So werden sie etwas gleicher gestellt. Kommunen können im Prinzip nur über Einsparungen bei den Personalkosten mehr Investitionen ermöglichen. Kommunen mit Zentrumsfunktion, wie z. B. Rottenburg, sollten mehr Geld bekommen. Gemeinden unterschiedlicher Größe, wie z. B. Dußlingen, Mössingen und Rottenburg werden bei der Vergabe vieler Mittel leider gleich behandelt. Aufgaben wie Digitalisierung oder Flüchtlingsunterbringung lassen sich nicht kleinteilig auf kommunaler Ebene lösen, hier sind die Landkreise, die Länder und der Bund gefragt.

TN: Bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer besteht ein Standortwettbewerb zwischen Kommunen. Kann die Abhängigkeit von der Gewerbesteuer verringert werden?

OB: Die Regionalverbände sollten für die Regionen die Gewerbeflächennutzung planen. Nicht jede kleine Einheit muss alles haben (Beispiel: Geplante Supermarktansiedlung für Ofterdingen). Es gibt aber in den Regionalverbänden zu wenig einheitliches Handeln, da sich dort die Bürgermeister treffen.

 

Themenbereich 2: Bürgerbeteiligung auf Gemeindeebene

KS: In der baden-württembergischen Gemeindeordnung heißt es in § 1, Absatz 3: „Die verantwortliche Teilnahme an der bürgerschaftlichen Verwaltung der Gemeinde ist Recht und Pflicht des Bürgers.“ Was ist eine verlässliche Bürgerbeteiligung?

TN: Es gab eine Veranstaltung mit der Stadtverwaltung und interessierten Bürgern zum Thema Bürgerbeteiligung. Dabei wurde als Ergebnis festgehalten:

  •  Bürger wenden sich erst in einer relativ späten Phase ihres Engagements an die Stadt.
  • Die Stadt entscheidet und informiert die Bürger erst nach ihrer Entscheidung.

Besser wäre es, die Stadt würde Lösungsalternativen präsentieren und dann mit den Bürgern in einen Dialog eintreten.

TN: Der Gemeinderat hat nicht das Ohr am Bürger. Wäre eine BürgerApp, wie diese inzwischen in Tübingen genutzt wird, eine Möglichkeit der Bürgerbeteiligung für Rottenburg?

OB: Vermutlich nicht, denn es gibt Zweifel daran, ob das Abstimmungsergebnis repräsentativ für die Bürgerschaft ist.

KS: Wann sind die Bürger ausreichend informiert?

TN: Vorschlag: Die Bürger sollten im Gemeinrat Themen auf die Tagesordnung setzen können, wie es z. B. in Trier der Fall ist. Vorschlag: Einrichtung eines Bürgerportals, in dem Rückmeldungen des Bürgers gesammelt und dann in den Gemeinderat eingebracht werden können.

OB: Es geht nicht mehr ohne Bürgerbeteiligung. Allerdings gibt es bereits heute so viel Bürgerbeteiligung wie noch nie. Entscheidungen werden nur noch selten im geschützten Kreis der Verwaltung getroffen. Trotz verstärkter Bürgerbeteiligung müssen die Entscheidungen aber bei den Gewählten Vertretern der Bürger bleiben. Im Stadtentwicklungsprozess wurden Mitsprachemöglichkeiten für die Bürger geschaffen. Bürgerentscheide wären eine gute Sache. Wnn ist jedoch ein Thema entscheidungsreif?

TN: Welche konkreten Mitsprachemöglichkeiten haben die Bürger aktuell?

OB: Die Mitarbeit bei der Stadtentwicklungskonzeption 2030.

KS: Als Schlusswort: „Man soll dem Volk auf ’s Maul schauen, ihm aber nicht nach dem Munde reden.“ (Martin Luther) Im Falle der Stadtbibliothek wurden wirklich alle Argumente für und wider offen ausgetauscht und dann nach reiflicher Abwägung entschieden.

KS: Bedankt sich bei Herrn Neher und den Teilnehmern des Gesprächskreis für die interessante Runde und beendet die Veranstaltung um 11:30.

 

Protokoll:

Wolfgang Hesse

 

 

 

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