Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

23.02.2021: Buchvorstellung Prof. Christian Pfeiffer: "Gegen die Gewalt: Warum Liebe und Gerechtigkeit unsere besten Waffen sind"

1. Einführung (Karl Schneiderhan)

Wir haben für heute ein nach wie vor aktuelles Thema ausgewählt, welches große Teile der Bevölkerung bewegt und je nach Schadensereignissen die öffentliche Berichterstattung bestimmt. Erst in den vergangenen Tagen waren in der Südwest-Presse zwei aktuelle Berichte dazu veröffentlicht. Zum einen der vom Innenministerium veröffentliche Sicherheitsbericht 2020 für Baden-Württemberg.[1] Danach sind Straftaten bzw. Gewaltdelikte insgesamt gegenüber 2019 zurückgegangen und zwar um über 6%, der niedrigste Wert seit 1991. Dennoch sind bei verschiedenen Straftatbeständen Zunahmen zu beklagen, u. a. hinsichtlich sexueller Selbstbestimmung, Wirtschaftskriminalität und Aggressionsdelikten.

Zudem war gestern in der Südwest-Presse ein Bericht veröffentlicht mit der Überschrift: „Zwischen Sicherheit und Misstrauen“. Dieser bezieht sich auf Ergebnisse des jüngsten BaWü-Checks der Tageszeitungen, durchgeführt vom Institut für Demoskopie in Allensbach. Danach leben wir in einer der sichersten und durch Kriminalität am wenigsten belasteten Regionen der Welt. 86% der Bevölkerung fühlen sich an ihrem Wohnort „sicher“ oder „sehr sicher“, je ländlicher die Umgebung, umso höher die Werte. Lediglich 12% fühlen sich „gar nicht“ oder „weniger sicher“. Trotzdem wünschen sich 94% der Bevölkerung eine bessere Ausrüstung der Polizei und 69% sogar mehr Rechte für die Sicherheitsbehörden. Darin offenbart sich die bekannte Spannung zwischen faktischer Sicherheitslage und gefühlter Befindlichkeit. Möglicherweise erklärt sich diese durch die mediale Berichterstattung über vereinzelte dramatische Ereignisse, denken wir z. B. an die Ereignisse in Hanau, Halle oder an die Krawallnacht in Stuttgart im Juni vergangenen Jahres.

In der Auseinandersetzung mit dem Thema ziehen wir das i. J. 2019 erschienene und viel beachtete Buch „Gegen die Gewalt – Warum Liebe und Gerechtigkeit unsere besten Waffen sind“ de bekannten Kriminologen Christian Pfeiffer zu Rate. Das Buch ist eine Bilanz seiner vierzigjährigen Berufs- und Lebensarbeit. Am Beispiel unzähliger Studien kommt er zu dem Schluss, Gewalt und Kriminalität hätten entgegen der allgemeinen Vorstellung in Deutschland eher abgenommen. Seine Reformvorschläge haben dazu nicht unerheblich beigetragen, die zu Konsequenzen in der Erziehung und Familienkultur auffordern. Als Gutachter hat er sich insbesondere mit sexuellem Missbrauch in der Gesellschaft auseinandergesetzt und in diesem Zusammenhang der Katholischen Kirche mangelnde Transparenz bei der Aufarbeitung vorgeworfen. Dennoch vertraut er auf eine zunehmende Gerechtigkeit als Lebenselement einer solidarischen Gemeinschaft.

Christian Pfeiffer war Professor für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover und engagierte sich bereits frühzeitig für den Täter-Opfer-Ausgleich als außergerichtliche Streitbeilegung. Zudem war er Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und von Dezember 2000 bis Februar 2003 Justizminister des Landes Niedersachsen sowie in Medien und Talkshows ein viel gefragter und beachteter Interviewpartner.

 

2. Impuls (Wolfgang Wagner)

Persönliche Vorbemerkung: Als Studienleiter der Evangelischen Akademie Bad Boll (1998-2012) unterstützte ich die Ökumenische Dekade „Gewalt überwinden“. Bei Tagungen hatte ich die Gelegenheit, auch mit Kriminologen zusammenzuarbeiten, u. a. im Zusammenhang mit dem Amoklauf von Winnenden im März 2009. Danach vertrat ich 2019, bereits im Ruhestand, fast ein Jahr in der JVA Rottenburg den erkrankten evangelischen Gefängnisseelsorger. Der Kontakt zu den Gefangenen motivierte mich zu diverser kriminologischer Lektüre, darunter auch das heute zu besprechende Buch von Christian Pfeiffer.

Das Buch ist 2019 erschienen, die Daten beziehen sich aber auf einen früheren Zeitraum, meist erhoben durch das von ihm geleitete Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. Möglicherweise sind einzelnen Daten aufgrund der Corona-Krise nicht mehr aktuell. Seine Grundthese, dass Gewalt in unserer Gesellschaft abnimmt, dürfte aber noch immer stimmen und seine Vorschläge zur Gewaltminderung bleiben wichtig. Auslöser für dieses Buch war ein Interview im Bayrischen Rundfunk.

Pfeifer beschreibt u. a. anhand biografischer Erinnerungen, was ihn zur Kriminologie geführt hat. Als Flüchtlingskind kennt er Ausgrenzungen und jugendliche Gewalt. Entscheidend wird im Jurastudium ein Studienjahr in London mit Kritik an H.J. Eysenck (ererbte Einflussfaktoren), was ihn zur Sozialpsychologie btingt. In München engagiert er sich in der Betreuung von Strafentlassenen und sammelt erste Erfahrungen als Strafverteidiger. „Erst anhand der Biografien dieser Strafentlassenen und Angeklagten begreife ich schrittweise, wie Menschen zu Straftätern werden und was dazu beitragen kann, das Hineinwachsen in eine kriminelle Karriere zu fördern oder zu vermeiden.“ Er gründet die Bürgerinitiative „Zeitungsabonnements für Gefangene“ mit beachtlichem Erfolg und war acht Jahre Assistent beim Strafrechtler und Kriminologen Schüler-Springorum an der Uni München. Von 1985 - 2015 leitete er das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen.

Der Rückgang der Sexualmorde – Eine beispielhafte Geschichte

Die schlimmste Gewalt? Die meisten nennen den Sexualmord und verschätzen den statistischen Rückgang. In 5 Jahren 1976-80: 223 Fälle. In den letzten 5 Jahren „nur“ 34, ein   Rückgang von 85%. Als einen der bekanntesten Fälle erwähnt er die Geschichte von Jürgen Bartsch: adoptiert, schlagende Adoptivmutter, Außenseiter in der Schule und erfährt in einem Don-Bosco-Institut harte Disziplinierungsmaßnahmen verbunden mit sexuellem Missbrauch des 13-Jährigen durch einen Pater im Zeltlager. Später wird Bartsch selbst zum Gewalttäter. Tobias Brocher erklärt dies wie folgt: „Der Täter sucht eigentlich in seinem Opfer gleichsam ein Abbild seiner selbst als Kind, das er dann so verderben und zerstören will, wie er selbst auch als Kind zerstört wurde.“ Parallelen anderer Sexualmörder: Grundgefühl erniedrigender Ohnmacht.“ Zum Sexualmörder wird man nicht geboren, dazu wird man gemacht.“ Mögliche Ursachen für den Rückgang der Sexualmorde sind der Wandel der elterlichen Erziehung: „Mehr Liebe, weniger Hiebe“.

Der Rückgang des sexuellen Kindesmissbrauchs

Gründe dafür sind die gestiegene Anzeigebereitschaft der Opfer ist gestiegen, die Verschiebung der Schamgrenzen, Organisationen der Opferhilfe und Anstellungsträger wurden sensibilisiert.

1979 höchste Zahl mit 16888 Fällen, bis 2018 Abnahme um 27%. Zwischen 2007 und 2017 hat sich die Zahl der Verurteilten von 2484 auf 1866 um ein Viertel reduziert.

Zunahme wirksamer Therapien? Zahl der Therapeuten hat sich im Verlauf der letzten 33 Jahre von 750 auf 6782 erhöht. Erhöhung der Psychologen-Therapeuten zwischen 1982 und 2018 von 2750 auf 34071 erhöht. Beispiel S.31-33. „Positive Selbstwirksamkeit vermitteln.“ „Heilkraft der Beziehung des Therapeuten“. S.34 Rückgang der Suizide S.35

Weniger Hiebe – mehr Liebe

Joachimfritz Staeter und Astrid Lindgren (Rede in der Pulskirche 1978) sind Pioniere des Wandels.

1968 Kritik, aber 1978 Beschränkung elterlicher Machtausübung. Lindgrens Friedenspreisrede: „Niemals Gewalt gegen Kinder“. (Schweden Gesetz 1979. Kinderschutzbund: Zunahme an Ortsgruppen.

02.11. 2000: Gesetz Abschaffung des elterlichen Züchtigungsgesetzes im Bundestag §1631 Abs. 2 S.1 BGB „absolutes Gewaltverbot“.

Wer hat profitiert? - Mehr die Mädchen. Dominanz der Männer war im Recht verankert. Dagegen neues Rollenmuster. Fluchtburg für Jungen: Computerspiele. „Wer arm im Leben ist, möchte reich sein in der virtuellen Welt.“ Neue Krankheit: Computerspielsucht. „Lust auf Leben wecken“.

Wie hat sich der Wandel der elterlichen Erziehung ausgewirkt?

Martin H.Teicher (Harvard University Psychiater und Neurowissenschaftler): „Nach seinen Untersuchungen ist das elterliche Schlagen als schwerer Umweltstressor einzustufen, welcher eine Vielzahl von physiologischen und neurobiologischen Veränderungen hervorrufen kann.“

Jugendliche ab Jahr 2000: Kriminalitätsbelastung um 30 % verringert. Ebenso haben selbstschädigende Verhaltensweisen (Alkohol, Rauchen, Suizid etc.) abgenommen. Schulgewalt (Raufunfälle) hat um 48,2% abgenommen. Neben dem Wandel der elterlichen Erziehungskultur finden sich weitere Einflussfaktoren:

  • Weniger „Schulverlierer“, steigende Leistungserfolge
  • Deutliche Zunahme der Missbilligung von Gewalt
  • Rückgang des Kontakts zu delinquenten Freunden
  • Erstarkung einer Kultur des Hinschauens

Gesellschaftspolitische Auswirkungen

Das Selbstkonzept einer autoritären Persönlichkeit bedingt den Wunsch nach harten Abschreckungsstrafen der Justiz. Nährboden für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. (Psychohistoriker Sven Fuchs, Kinderarzt Renz-Polster 75f.) z.B. Breivik, Hooligans, Sekten Salafisten: „Sie sehen die Welt als Kampfplatz an, weil sie sich in ihr nie sicher gefühlt haben.“

Je schwerer die Gewalt – umso stärker ihr Rückgang

Die Kriminalität sinkt, die Verunsicherung wächst.

  • Sexualmord – minus 89%
  • Schusswaffentötungen – minus 83%
  • Mord und Totschlag – minus 63%
  • Schwere Gewalt an Schulen – minus 69%
  • Vorsätzliche Kindestötungen – minus 52%
  • Vergewaltigung – minus 49%
  • Raubdelikte – minus 40%
  • Gefährliche/schwere Körperverletzung - minus 12%
  • Einfache Körperverletzung – plus 5%.

 Vergewaltigung

1992 und 2011: Zwei Repräsentativbefragungen dokumentieren den Rückgang.

Ergebnisse einer Opferbefragung: 71% der Täter stammten aus der Familie bzw. Haushalt. Am 01.7.1997 erklärt der Bundestag Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Diese Straftaten gehen zurück. 2002 Gewaltschutzgesetz. Junge Frauen werden unabhängiger. „Der Vergewaltiger begeht seine Tat, da er aufgrund seiner Sozialisationserfahrungen einen starken Drang entwickelt hat, gegenüber Frauen brutale Macht zu inszenieren, sie in Panik zu versetzen, sie lustvoll zu beherrschen und zu erniedrigen.“

Strafverfolgung der Vergewaltigung – für viele Opfer das große Leiden. Täter aus dem Nahbereich behaupten einfach die Freiwilligkeit. Es kommt seltener zu Verurteilungen.

Tatort Zuhause: Kindestötungen, Schwere Gewalt gegen Frauen

Vorsätzliche, vollendete Kindestötungen haben in den letzten 25 Jahren stark abgenommen. Bei der Altersgruppe 0-6 Jahre 2/5 nach der Geburt, da unerwünschte Schwangerschaft. TäterInnen kommen meistens aus der Familie. Ähnliche Gründe bei 6-14-Jährigen; dazu Sexualmorde. Erfolgreiche Prävention durch Kinderschutzbund, empirische Forschung und Massenmedien. Das Kinderschutzgesetz hat die Hilfestrukturen verbessert.

Schwere Gewalt gegen Frauen

 Das Risiko von Frauen, Opfer von innerfamiliärer Gewalt zu werden hat stark abgenommen. Häufigster Täter: Ehemann bzw. Partner. „Die wenigen Frauen, die ihren Partner töten, tun das meist, um sich für immer von ihm zu befreien. Die vielen Männer, die ihre Frau umbringen, möchten diese dagegen für immer besitzen.“ (Müller-Luckmann)

Ungerechtigkeit erzeugt Kriminalität. Gerechtigkeit und Fairness zahlen sich aus. (eigene Fluchtgeschichte)

Harte (B) und milde (A) Jugendrichter: „Je fairer, kommunikativer und gerechter angeklagte Jugendliche ihren Jugendrichter erleben, umso seltener werden sie rückfällig.“ Rückschlag in den Neunzigerjahren durch die Wiedervereinigung, Osteuropa-Aussiedler, Asylbewerber und Flüchtlinge. = Anstieg der Jugendkriminalität bis 2007. „Ende der Geduld“ Kirsten Heisig. „Schluss mit der Sozialromantik“ Andreas Müller. Aber 2007-2012 Rückgang der Jugendgewalt um 30%. Interview mit dem früheren Jugendrichter Werner Schulz: „Die zentrale Frage war immer, wie ich als Jugendrichter durch meine Entscheidungen dazu beitragen kann, dass der Angeklagte nicht rückfällig wird, nicht erneut Menschen verletzt, damit aufhört, ihnen Leiden zuzufügen. Meine Frage war also, was er braucht, damit er auf einen guten Kurs kommt.“ 

1983 Dissertation: „Kriminalprävention im Jugendgerichtsverfahren“. Münchener Modellversuch „Brücke“.

Prozedurale Gerechtigkeit bei der Polizei und im Strafvollzug. (Studie Raymond Paternoster, USA) Fairness bei der Fe3stnahme von schlagenden Familienmitgliedern zahlt sich aus. Positives Beispiel: JVA Oldenburg. (146 Interview mit dem früheren Leiter Gerd Koop.) Gustav Radbruch: „Wenn du das Gute in den Menschen wecken willst, dann behandle sie so, als wären sie schon gut.“

Gewalt und ihre mediale Darstellung

TV trägt zur Diskrepanz zwischen der realen Kriminalitätsentwicklung und der gefühlten Kriminalitätstemperatur erheblich bei. Je höher das Bildungsniveau, desto niedriger die Fehleinschätzung. Die Wucht der Bilder verzerrt die Wahrnehmung der Kriminalitätsentwicklung und beeinflusst das Bedürfnis nach härteren Strafen.

Die AfD und ihre Pressearbeit zur inneren Sicherheit. AfD schürt Ängste, ist nicht am empirischen Befund interessiert. So kann sie sich als Retter vor den von ihr skizzierten Gefahren profilieren.

Migration, Flüchtlinge und Gewalt

Gewaltkriminalität von Ausländern bzw. Flüchtlingen wird seit 2015 kontrovers diskutiert. Daten bestätigen, dass es nicht die Ausländereigenschaft ist, die das Risiko der Kriminalität erhöht, sondern die misslungene soziale Integration. 2015-2018 waren 73% der Asylbewerber unter 30 Jahre, zwei Drittel waren männlich.  0,9% Geflüchtete aus Nordafrika ohne Bleibeperspektive verübten 17,1 % der Gewaltfälle. Flüchtlinge aus muslimischen Ländern, geprägt von einer hohen Akzeptanz der gewaltfördernden Machokultur. Hohe Anzeigebereitschaft gegen „Fremde“. „Der Anstieg der Gewaltkriminalität von Nichtdeutschen ist auch in den letzten Jahren ganz überwiegend der Gruppe von Flüchtlingen zuzurechnen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die anschließend oft wegen Abschiebehindernissen den Status der Duldung erhielten.“

Gefährdet die Dominanz der Männer das Überleben der Menschheit?

Bedrohungen: 1. Wachstum der Weltbevölkerung. Hungerkatastrophen verstärken Wanderungsbewegungen, erhöhen Risiko kriegerischer Auseinandersetzungen. 2. Wachsende Umweltverschmutzung. Gleiche Konsequenzen wie oben. 3. Gewalt, Terror und Krieg. Gefahr der modernen Waffen. Religiöser Fanatismus und traditionelle männliche Dominanzkultur.

Die Gewaltbelastung der Männer übersteigt die der Frauen um das 6,1-fache, bei Mord und Totschlag um das 8-fache. „Die Probleme sind dort am größten, wo Männer ihre traditionelle Dominanz noch immer ungehemmt ausleben.“ „Die hier so vielfach kritisierte Dominanz der Männer werden wir erst dann überwinden können, wenn diese selber die emotionale Freiheit entdecken, die aus einer echten Gleichrangigkeit von Männern und Frauen erwächst.“

Religion und Gewalt

„Die Erbsünde ist offenkundig ähnlich wie das Jüngste Gericht eine Erfindung der kirchlichen Dogmatik, um uns Menschen klein zu halten…Die Christusbegeisterung ist mir trotzdem geblieben.“

Religion und Gewalt bei einheimischen deutschen Jugendlichen. „Je religiöser sie sind, desto niedriger fällt ihre Gewaltrate aus.“ Regnerus 2003 moral-community-Hypothese: „Hiernach entfaltet der Glaube vor allem dann verhaltenssteuernde Kraft, wenn die Menschen in eine religiöse Gemeinschaft eingebettet sind, in der sie in ihrer Werteorientierung bestärkt werden und in Freizeitaktivitäten Lebensfreude und soziale Beziehungen zu sich prosozial verhaltenden Personen erleben.“ Die katholische Kirche erreicht mit ihrer Jugendarbeit die spezifische Risikogruppe der männlichen, geringer gebildeten Jugendlichen besser als die evangelischen Gemeinden.

Gewalt bei freikirchlichen Familien, halten an alten Traditionen fest. (Film: Das weiße Band)

Gewalterziehung nach Michael Pearl „To Train Up A Child“ 2011 verboten. In den USA gängig. Altes Testament Sprüche 13,14 “Rute”. Aufklärung nicht akzeptiert: Montaigne, Locke, Rousseau. „Der kriminalpräventive Effekt der christlichen Religiosität wird hier von der destruktiven Kraft des elterlichen Schlagens überlagert.“

Jugendliche Migranten: „Importierte Machokultur“

Bei christlichen Jugendlichen nimmt die Religiosität mit steigendem Bildungsniveau zu, bei muslimischen Jugendlichen ist es umgekehrt. Hohe Akzeptanz der „Männlichkeitsnormen“. Dazu Interview mit der Islamwissenschaftlerin Elham Manea 230ff.

Sexuelle Gewalt gegen Kinder durch katholische Priester

2011 mit der Deutschen Bischofskonferenz vereinbartes Forschungsprojekt des Verfassers scheitert, weil weder Zensurrecht noch Kontrolle akzeptiert wird. Katholische Kirche profilierte sich als Moralinstitution mit Zentrum Sexualmoral. USA-Hochphase 8-9% der amerikanische Priester als Beschuldigte des Missbrauchs. Mit zunehmender Liberalisierung seltener. „Am Ende dieser Entwicklung reduzierte sich diese Gefahr auf die kleine Gruppe der genuin-pädophilen Priester.“

Liberalisierung reduziert Missbräuche. Priester sind nicht gefährlicher als andere (Trainer, Nachbarn, Erzieher, Lehrer). „Die für die katholische Kirche typische Fixierung auf ihre strenge Sexualmoral ist auch eine Folge des Zwangs zum zölibatären Leben.“ 236 Notwendige Transparenz wird verhindert.  (Kardinal Marx z.B. Widerspruch Rhetorik und Praxis). 2010 Untersuchung Westphal, der Forschungsbericht mit 350 Seiten bis heute nicht veröffentlicht.

Nicht im Buch: Kontroverse mit Bischof Ackermann, siehe ZEIT Interview. Aktuell: Kölner Diözese etc.

Bürgerstiftungen als Motor für soziale Gerechtigkeit und Gewaltprävention

Zusammenschlüsse von „Zeitreichen, Ideenreichen und Geldreichen“. Antwort auf die Krise unserer politischen Kultur. Zweifel an der Funktion der Parteien. Kritik der Parlamentarier. (Mangelnde Berufserfahrungen). Bürgerstiftungen leisten einen erheblichen Teil der Gewaltprävention.

Gerechtigkeit und Zuwendung für Opfer der Gewalt

Erfahrungen als Justizminister Niedersachsens. Ziele: 1. Leistungsstarke Opferhilfe, 2. Zuständigkeit für Kriminalprävention, Aufbau eines Landespräventionsrates, in allen Gerichtszweigen Mediation als Alternative.

Der Gewaltbegriff wird erweitert auf psychische Schäden. Aufbau von Trauma-Ambulanzen. “Beweiserleichterungen“ bei Fällen sexueller Gewalt. Geldleistungen. Soziales Entschädigungsrecht ermöglicht neue Therapieansätze. Modellversuch ab 2021 erforschen. Mitarbeit der Polizei erforderlich.

„Menschen, die sich in einer existentiellen Krise befinden, weil sie Opfer von Gewalt wurden, brauchen ein von Empathie getragenes Gegenüber, das ihnen zuhört und ihnen taugliche Hilfen anbieten kann.“

Sprüche 14,34 (AT) „Gerechtigkeit erhöht ein Volk.“ 273

 

3. Diskussionsbeiträge der Teilnehmer

  • Christian Pfeiffer erklärt den Rückgang der Kriminalität überwiegend mit der Liberalisierung der Erziehungsmethoden, wenngleich weitere gesellschaftliche Entwicklungen zur Erklärung heranzuziehen sind.
  • Bezweifelt wird der von Pfeiffer diagnostizierte Rückgang von Gewaltkriminalität anhand eines Schaubildes der bundesweiten polizeilichen Kriminalitätsstatistik aus dem Jahre 2019. Die Zahl der Fälle ist danach von 1993 bis 2007 langsam gestiegen, in den Jahren danach wieder gefallen und zwischen 2015 und 2016 erneut angestiegen. Nach 2017 ist diese wieder zurückgegangen. Wenn man für die Jahre seit 2017 behauptet, die Zahl der Fälle von Gewaltkriminalität sei gefallen, liegt man richtig. Betrachtet man dagegen den kompletten Zeitraum ab 1993 ist diese leicht angestiegen. Die Zahlen zeigen, dass es nicht einfach ist, sich ein zutreffendes Bild von der tatsächlichen Entwicklung der Kriminalität zu machen. Dies ist umso bedauerlicher, weil mit diesen Zahlen Politik und Stimmung gemacht wird.
  • Ein weiterer Aspekt ist, dass Pfeiffer bestimmte Arten von Kriminalität außer Acht lässt. So sind nach dem Sicherheitsbericht 2020 für BaWü Wirtschaftsdelikte, Internetstraftaten und Sexualdelikte stark angestiegen.
  • Gefragt wird, welche Verbesserungen es in der Straffälligenhilfe in den letzten Jahren gegeben hat. Es wird auf das Beispiel Täter-Opfer-Ausgleich verwiesen, der in Reutlingen entwickelt wurde und inzwischen im StGB und in der StPO verankert ist. Beim Täter-Opfer-Ausgleich wird der Täter mit dem Opfer seiner Tat konfrontiert mit dem Ziel, zusammen mit dem Opfer außergerichtlich eine Wiedergutmachungsstrategie zu finden.
  • Die Straffälligenhilfe hatte viele Jahre ein schlechtes Image. Während etwa Behindertenhilfe oder Hilfe für schwer erkrankte Kinder gesellschaftlich anerkannte Maßnahmen sind, hatte die Straffälligenhilfe oft mit dem eher negativen Image von Strafentlassenen zu kämpfen.
  • Es wird gefragt, welche Maßnahmen Pfeiffer zur Eindämmung von Straftaten vorschlägt. W. Wagner verweist auf die in Pfeiffers Buch erwähnten Bürgerstiftungen.
  • Entgegen des von Pfeiffer behaupteten Rückgangs der Sexualdelikte wird argumentiert, dass eine höhere Anzeigebereitschaft sowie die ‚MeToo Bewegung‘ eher für ein Ansteigen der Zahl der Sexualdelikte sprechen. Dies bestätigen auch die neusten Daten im Sicherheitsbericht 2020 für BaWü, wobei der Anstieg der Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung insbesondere zurückgeht auf die Verbreitung pornographischer Schriften.
  • Aus einer Untersuchung des Kriminologischen Institutes Niedersachsen, dem Haus vom Christian Pfeifer, gehe hervor, dass in den Jahren 2013 bis 2016 in Schleswig-Holstein die Zahl der Sexualdelikte deutlich angestiegen sei.
  • Als positives Bespiel für unterstützende Resozialisierung wird auf das vor Jahren in Rottenburg im Rahmen der Lokalen Agenda durchgeführte Projekt „Kultur im Schloss“ hingewiesen.
  • Gelungene Beispiele für Projekte gegen Gewalt sind auch die seit Jahren durchgeführten Friedenscamps zwischen israelischen und palästinensischen Jugendlichen.
  • Es wird festgestellt, dass Christian Pfeiffer die Thematik in seinem Buch möglicherweise etwas zu positiv darstellt, um sein berufliches Wirken in einem guten Licht erscheinen zu lassen.
  • Welche Rolle spielen Filme bzw. Krimis und Actionfilme, insbesondere privater Fernsehanstalten und neuen „sozialen“ Medien, als Wegbereiter für Gewaltbereitschaft?

 

4. Schlusswort

Karl Schneiderhan dankt Wolfgang Wagner für seinen Einstiegsimpuls sowie den Teilnehmenden für die anregende Diskussion. Abschließend zitiert er aus dem Buch von Christian Pfeiffer, was im Kern wesentliche Voraussetzung für gutes Miteinander in der Gesellschaft ist: „Wenn du das Gute in den Menschen wecken willst, dann behandle sie so, als wären sie schon gut.“

 

Rottenburg, 24.02.2021

Wolfgang Hesse

 

[1] Die Daten in Einzelnen sind abrufbar unter: https://im.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-im/intern/dateien/publikationen/20210219_Sicherheitsbericht_Baden_Wuerttemberg_2020.pdf

 

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