27.10.2020: Kooperative und ökologische Erzeugung von Lebensmitteln in der Region - die Genossenschaft Xäls

1. Einführung (Wolfgang Hesse)

Was ist der Anlass, dieses Thema im Gesprächskreis zu diskutieren? Eine Reihe von Negativschlagzeilen gab es in letzter Zeit aus der deutschen Fleischwirtschaft, katastrophale Arbeitsbedingungen der Schlachtarbeiter, schreckliche Zustände in deutschen Schweineställen, Umweltbelastungen durch übermäßig viel ausgebrachte Gülle sowie der nach wie vor bestehende Druck, Fleisch immer billiger herzustellen. Aktuell ist die Fleischerzeugung ein Paradebeispiel für viele außerordentlich fragwürdige Entwicklungen bei der Erzeugung und beim Vertrieb von Nahrungsmitteln. Was läuft bei der Erzeugung unserer Lebensmittel falsch? Gibt es praktikable Alternativen?

Am Beispiel der regionalen Genossenschaft ‚Xäls‘, ein Bündnis von Bäuerinnen, handwerklichen Lebensmittelverarbeitern, Händlerinnen und Verbraucherinnen, welches eine zukunftsfähige, regionale Lebensmittelwirtschaft zum Wohl aller gestalten will, diskutieren wir diese Fragen. Das Konzept von ‚Xäls‘ setzt auf Transparenz, ökologische Landwirtschaft, Nachhaltigkeit, fairen Interessenausgleich aller Beteiligten und auf Unabhängigkeit von Kapitalinteressen. Impulsgeber sind folgende zwei Vertreter von ‚Xäls‘:

Doris Schaller-Hauber, Historikerin und Buchhändlerin, Gründungsmitglied und Mitarbeit Tübinger Tafel e. V., Teilnehmerin und Mitarbeiterin in ‚Solidarische Landwirtschaft Tübingen‘, Gründungsmitglied von ‚Xäls‘ und als Verbrauchervertreterin im Aufsichtsrat.

Alexander Thierfelder ist Gründungsmitglied der Dorfgemeinschaft Tennental in Deckenpfronn, wo 150 Menschen mit Behinderung, begleitet durch 100 Mitarbeitende, arbeiten. Der Schwerpunkt liegt in der Landwirtschaft, über die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zum Kunden. Er ist dort seit 1991 als Demeter-Landwirt und Gärtnermeister tätig, zunächst in Aufbau und Leitung der Gärtnerei, Entwicklung der Werkstätten, Aufbau der Vertriebsstrukturen und Vermarktung, dann Leitung der Landwirtschaft und seit 2018 geschäftsführender Vorstand, Bereichsleitung Werkstätten sowie seit 18 Jahren im Vorstand von Demeter BaWü, Gründungsmitglied von ‚Xäls‘ und Mitglied im Aufsichtsrat.

 

2. Impuls (Alexander Thierfelder und Doris Schaller-Hauber)

Zunächst stellen die beiden Referenten die Genossenschaft ‚Xäls‘ vor. Die aktuelle Lage und der sich daraus ergebende Handlungsbedarf in der Lebensmittelwirtschaft waren 2017 Anlass, Alternativen zu entwickeln, um durch eine Zusammenarbeit in der gesamten Wertschöpfungskette mehr Nachhaltigkeit zu erreichen. Was sind im Kern die Probleme?

Ausgangslage und Handlungsbedarf

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Wenn der Strukturwandel in der Lebensmittelwirtschaft so weitergeht, verbunden mit einer konkurrenz- und profitorientierten Lebensmittelwirtschaft, wird die regional-ökologische Lebensmittelwirtschaft – Erzeuger, Verarbeiter und Händler – in wenigen Jahren zusammenbrechen mit der Folge, dass auch die Verbraucher von wenigen Großkonzernen und deren Preis- bzw. Produktpolitik abhängig sein werden. Das derzeitige Überangebot führt zu Billigprodukten und der Druck, immer noch günstiger und rationeller zu produzieren, wird noch stärker, unabhängig von den Schäden für Umwelt und Mensch. Landwirte können jetzt schon von ihren Einkünften kaum leben. Aktuell sind in Deutschland noch 1,4 % der arbeitenden Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, früher waren es 80%.

Um sich gegenseitig unterbieten zu können, üben die Großkonzerne zudem Druck auf die Preise der Verarbeiter und Erzeuger aus. Diese verdienen dadurch immer weniger an dem, was sie produzieren. In diesem Preiskampf können lokale Erzeuger und Verarbeiter gegenüber ihrer globalen Konkurrenz kaum bestehen. Ein kleiner, nachhaltig arbeitender Betrieb hat kaum mehr eine Chance, zumal wenn Subventionen Landwirte mit viel Fläche bevorzugen.

Verbraucher wissen zu wenig darüber, wie ihre Lebensmittel erzeugt werden, z. B. dass Großkonzerne nach und nach alle Bereiche der Lebensmittelwirtschaft vereinnahmen, indem sie Erzeugung, Verarbeitung und Verkauf der Lebensmittel kontrollieren und so die Kosten drücken. So verschwinden immer mehr regional orientierte Betriebe. Im Ausland produzieren Konzerne für einen Bruchteil des Geldes, weil sie dort Menschen in sklavenähnlichen Verhältnissen beschäftigen. Dabei ist diese Wertschöpfungskette anfällig für Risiken. Leider fehlt es in unserer Gesellschaft immer noch an Solidarität mit den Menschen, welche Lebensmittel herstellen, ebenso an der Bereitschaft, faire Preise für hochwertige Lebensmittel zu bezahlen.

Motive und Ziele von ‚Xäls‘

Angesichts dieser Lage verfolgt ‚Xäls‘ das Ziel, Menschen zusammenzubringen, um einen eigenen Beitrag zum nötigen Strukturwandel in der Lebensmittelwirtschaft zu leisten. Was in der Region Neckar-Alb erzeugt werden kann, soll auch hier erzeugt, verarbeitet und verkauft werden. ‚Xäls‘ fördert eine konsequente ökologische Landwirtschaft zum Schutz von Tieren, Pflanzenvielfalt und Landschaft und strebt eine Lebensmittelwirtschaft an mit fairen Preisen und angemessener Entlohnung auf allen Stufen verbunden mit mehr Klimaverträglichkeit, weniger Müll, kürzeren Transportwegen und besseren Arbeitsbedingungen.

 Name und Organisation

Ihrem Selbstverständnis entsprechend nennt sich die Genossenschaft ‚Xäls‘. Gsälz oder Xälz bezeichnet dasselbe, nämlich Marmelade. In diesem Sinne versteht sie sich als konzentrierte Mischung, steht für Tradition und Bodenständigkeit, „selbstgemacht“, alltäglich, vielfältig, von heute – für morgen.

Um unabhängig zu sein von den wenigen preisbestimmenden Großkonzernen, baut ‚Xäls‘ in Kooperation mit Partnerbetrieben eigene Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen auf, um u. a. Betriebe in der Region vor den Kapitalinteressen rein renditeorientierter Investoren und Banken zu schützen und die ökologische Lebensmittelwirtschaft in der Region zu stärken. ‚Xäls‘ bringt dazu Vertreter aus Erzeugung, Verarbeitung, Handel und Verbrauch an einen Tisch.

Zum Einzugsbereich zählen die Landkreise TübingenReutlingen und Zollern-Alb, mit einer Pufferzone von ca. 10 Kilometern in die angrenzenden Landkreise. Als regionale Partnerschaft von Bio-Verbrauchern, -Erzeugern, -Verarbeitern und -Händlern fördert und stärkt sie die regionale Zusammenarbeit und übernimmt Verantwortung für die heimische Natur, die bäuerliche Erzeugung und das Lebensmittelhandwerk der Region Neckar-Alb. Weitere Informationen s. unter der Homepage der Genossenschaft ‚Xäls‘.

 Weitere Infos zu Xäls finden Sie hier.

 

3. Teilnehmerbeiträge und Diskussion

Die Diskussion konzentrierte sich auf folgende drei Themenblöcke:

 1. Hintergründe, Triebkräfte, Anreizsysteme

   2. Regionale Genossenschaften als Antwort auf Fehlentwicklungen

 3. Forderungen an Politik (EU, Bund und Land) hinsichtlich mehr Nachhaltigkeit und Ökologie zugunsten regionaler Genossenschaften

 

4. Abschluss

Wolfgang Hesse dankt den Gesprächspartnern sowie Teilnehmenden für ihre Beiträge zur Diskussion, Karl Schneiderhan dankt Wolfgang Hesse für die vorzügliche Vorbereitung und Organisation (u. a. für die Erstellung der Anleitung zur Teilnahme am Gesprächskreis Online) dieser erstmaligen Videokonferenz.

Voraussichtlich findet der nächste politische Gesprächskreis am 24.11.2020 mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“ ebenfalls als Videokonferenz statt.

 

Rottenburg, 29.10.2020

Karl Schneiderhan

 

 

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