Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

27.11.2018: „Ein Protokoll des Scheiterns“ - Das Buch von Hamed Abdel-Samad

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 Dokumentation

 

1. Einführung (Karl Schneiderhan)

Karl Schneiderhan begrüßt die anwesenden Teilnehmer und dankt für deren Interesse am heutigen Thema. Er erläutert Anlass und Ziel sowie Ablauf des heutigen Gesprächskreises und übergibt das Wort an Wolfgang Wagner.

 

2. Impuls (Wolfgang Wagner)

Abdel-Samad, 1972 in Gizeh bei Kairo als Sohn eines Imams geboren, 1995 nach Deutschland gekommen, ist einer der bekanntesten und streitbarsten Islamkritiker des Landes.

Mehrere islamische Geistliche haben 2013 zu seiner Ermordung aufgerufen, weil er den Islam mit dem Faschismus verglich. Weil die Sicherheitsbehörden von einer realen Gefahr ausgehen, wird Abdel-Samad seither rund um die Uhr beschützt.

 

Hamed Abdel-Samads düstere Integrationsanalyse fällt pauschal und einseitig aus. (SZ)

"Die Wirtschaft und ihre exportorientierten Interessen, der Sozialstaat und seine Profiteure, die Kirchen und ihre Privilegien, die Islamverbände und ihre Agenda wehren sich gegen ein umfassendes Integrationskonzept."

Auf den ersten etwa 230 Seiten breitet er seine Diagnose aus, die schon der Untertitel zusammenfasst: "Ein Protokoll des Scheiterns". Düster wirkt das Deutschland Abdel-Samads, bedroht von Integrationsverweigerern. Der Autor beschreibt, wie er als Student gehadert hat, mit Deutschland und dem Islam. "Das islamische Wertesystem und das westliche Wertesystem passen einfach nicht zusammen." In Teilen würden sich beide Systeme sogar ausschließen.

Er listet auf, was wo alles schief läuft bei der Integration der muslimischen Zuwanderer. Die Stichworte lauten: Bildung, Wertevermittlung, Ab- und Ausgrenzung, Politisierung des Islam, Anspruchsmentalität, "Naivität der Politiker", Fehlen einer offenen Streitkultur.

Dann kritisiert er die unzähligen Studien zu Migration und Integration, unter denen sich jeder das Passende aussuchen könne. Der Autor bevorzugt deshalb das unmittelbare Gespräch mit Migranten, um der Wahrheit näherzukommen - und sucht sich solche Betroffene und Experten aus, die das dem Autor Passende sagen. Abdel-Samad jedenfalls trifft vor allem Migranten, die seinen Befund stützen.

Da kritisiert Abdel-Samad, dass Muslime undifferenziert als homogener Block behandelt werden - und tut es auch selbst, wenn er von dem Muslim spricht, der gefangen sei in seiner Community: "Leider hat sich unter den Muslimen noch kein Gegenkollektiv gebildet, das Freiheit nicht nur toleriert, sondern auch zelebriert. Der freie Muslim ist nach wie vor ein Einzelkämpfer, der nicht nur für seine Freiheit kämpfen, sondern sich dafür bei vielen sogar entschuldiqen muss." Seine These des Scheiterns stützt Abdel-Samad mit Vorliebe auf die Mengenangabe "viele". So erzählt er, dass er Migrantenviertel in Paris, Marseille, Brüssel, Amsterdam, Aarhus, Kopenhagen, Malmö, Bonn und Berlin besucht habe: "Nicht überall konnte ich unbeschwert spazieren gehen, in vielen dieser Orte gibt es No-go-Areas, vor denen die Polizei mich gewarnt hat." Wie viele sind "viele" bei neun Städten? Zu oft fehlt die Relation.

"Wenn wir uns genauso vehement für unsere Werte einsetzen würden wie die Intoleranten für ihre, könnten wir die Demokratie noch retten." Die "Zivilisation" sei durch intolerante Muslime gefährdet, die "Zersetzungstendenzen" seien weit fortgeschritten". Und gleich noch eine Parallele zur dunkelsten Vergangenheit: Hier die (angeblich) schweigende Mehrheit der Deutschen zwischen 1933 und 1945, dort die schweigende Mehrheit der friedlichen Muslime, die nichts zum heutigen Terror sage.

 

Der "Rassismus der gesenkten Erwartungshaltung"

Er stellt berechtigte Fragen und weist auf Widersprüche im linksliberalen Spektrum hin. Wenn er kritisiert, dass Politik und Teile der Gesellschaft Migranten zwar förderten, aber zu wenig fordern, weil man das für Diskriminierung halte. "Ich nenne das ‚Rassismus der gesenkten Erwartungshaltung" weil "diese Leute" Migranten in ihrer „Opferhaltung" bestätigten. Überhaupt dürfe man den Rassismus nicht vorschnell für Defizite auf Seiten von Muslimen verantwortlich machen. Oft liege etwa eine Jobabsage am fehlerhaften Deutsch der Migranten.

"Millionen von Migranten haben sich durch eigene Kraft und ohne staatliche Maßnahmen in dieses Land integriert. Auch Muslime! Gelungen ist aber nur ihr individuelles Ankommen, gescheitert der Versuch, Muslime als Kollektiv zu integrieren. Konservative Kräfte bestimmen heute das Bild vom Islam. Der Staat, indem er die Islamverbände förderte, hat Integrationsgegner zu Wächtern des Integrationsprozesses gemacht - und so das Glaubenskollektiv gestärkt, nicht den Einzelnen."

"Die Mehrheitsgesellschaft dagegen hat nach wie vor Probleme, Migranten mit einem deutschen Pass als Deutsche zu betrachten. Alltagsdiskriminierung zeigt sich vor allem im Beruf: Bei Bewerbungen wird eine "Sandra Bauer" in 18,8 Prozent der Fälle eingeladen, eine "Meyrem Öztürk" nur in 13,5 Prozent, und trägt "Meyrem" auf dem Foto Kopftuch, sinkt die Erfolgsrate auf 4,2 Prozent.

Integration ist keine Einbahnstraße, beide Seiten müssen etwas dafür tun - und beide müssen es wollen. Aufseiten der Migranten setzt Integration Widerstand voraus. Wer sich in eine freie Gesellschaft integrieren will, muss sich weigern, Teil von unfreien Strukturen zu bleiben. Dazu braucht er Entscheidungsfreiheit. Eine patriarchale Kultur, die auf Ehre und Gehorsam setzt, räumt dem Einzelnen keine Freiheit ein. Die Mainstream - Theologie des Islams zwingt Muslime, sich entweder als Muslime oder als Europäer zu definieren. Deutschland muss sich endlich gegen diese Theologie und dieses Patriarchat abgrenzen. Zwischen Freiheit und Unfreiheit gibt es keinen Mittelweg."

Auf den letzten 30 Seiten skizziert Abdel-Samad einen "Marshallplan" für gelingende Integration. Mag auch diese historische Parallele zum Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands deplatziert sein: Würde der Forderungskatalog umgesetzt, das Land käme schneller ans Ziel eines toleranten und freiheitlichen Miteinanders. Er will alle relevanten Akteure in die Pflicht nehmen, von den Schulen bis zu den Islamverbänden.

 

3. Diskussion (Widergabe von Teilnehmerbeiträgen)

  • Ein Teilnehmer hat die politischen Parteien angeschrieben mit der Bitte, die von TTIP eingesetzten Imame durch in Deutschland ausgebildete Imame zu ersetzen. Er hat aber keine Antworten bekommen.
  • Ein dem christlichen Religionsunterricht gleichgestellter islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist nach deutschen Recht derzeit nicht möglich, da der Islam als Religion in Deutschland nicht den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts hat. Eine Anerkennung des Islam als K. ö. R. ist politisch derzeit nicht durchsetzbar.
  • Bevor wir an Schulen den Islam unterrichten, sollten wir besser unsere eigenen Grundwerte wie Gleichberechtigung, Rechtstaatlichkeit und Freiheit offensiver vermitteln. Eine Teilnehmerin berichtet, dass islamische Schüler im Ethikunterricht die christliche und jüdische Religion kennen lernen.
  • Die säkulare Trennung von Kirche und Staat ist bei uns vollzogen, während der Islam sich als Herrschaftsreligion versteht und somit Religion und Politik eng verwoben sind. Beispiele dafür sind Aussagen des türkischen Präsidenten Erdogan und eines Kölner Imam: „Wir halten uns solange an euer Grundgesetz, wie wir die Minderheit sind.“
  • Ein Teilnehmer verweist auf das Buch „Das Integrationsparadox“, wonach die Integration in Deutschland besser funktioniert als viele denken.
  • In den 70iger und 80iger Jahren gab es in Deutschland mit der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund weniger Probleme. Erst mit der Reislamisierung der 3. Einwanderergenration haben sich muslimische Einwanderer wieder mehr abgeschottet. Einen weiteren Rückschlag für die Integration gab es nach dem September 2015. Saudi-Arabien arbeitet an der islamischen Unterwanderung Deutschlands. Bereits heute gibt es hier viele islamische Richter und Anwälte.
  • Der Erfolg des fundamentalistischen Islam beruht auch auf Versäumnissen westlicher Gesellschaften, wo Muslime sich weiter benachteiligt fühlen. Technische Entwicklungen, wie z.B. der Fernsehempfang türkischer Programme, begünstigen einen Rückzug in die Herkunftskultur.
  • Ein Teilnehmer nennt Zahlen zur Migration aus dem aktuellen „Datenreport 2018“ der Bundeszentrale für politische Bildung, um die quantitative Ausprägung der Einwanderung deutlich zu machen: In Deutschland leben heute 19,3 Mio. Personen mit Migrationshintergrund, das sind mehr als 20% der Gesamtbevölkerung. Diese Zahl stieg seit 2005 um 36% an. Die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund ging im gleichen Zeitraum um 6% auf 62,5 Mio. zurück. 36% aller Kinder in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, in manchen Regionen (z. B. Bremen) sind es bereits mehr als die Hälfte. Die Geburtenziffer ausländischer Frauen liegt bei 2,28 Kinder/Frau, die durchschnittliche Geburtenziffer in Deutschland liegt bei 1,59 Kindern/Frau.
  • Die Herkunftskultur und familiäre Sozialisation bestimmen das Verhalten vieler Muslime in Deutschland. Die Islamverbände sollten ein Lehrverbot bekommen.
  • Ein Teilnehmer berichtet aus dem Remstal. Dort sind ältere Muslime gut integriert, Muslime in der 3. Generation sind es dagegen nicht mehr. Daran haben Medien aus den Herkunftsländern einen großen Anteil. Der Dialog zwischen den Religionen verläuft einseitig: Laden Moscheen zum Tag der offenen Tür ein, kommen viele interessierte Deutsche. Laden dagegen die ev. oder kath. Kirche ein, kommen von muslimischer Seite nur wenige ‚offizielle‘ Verbandsvertreter.
  • Ein Teilnehmer berichtet, dass bei Heirat einer muslimischen Frau und eines nicht muslimischen Manns die Kinder aus dieser Ehe automatisch muslimisch sind.
  • Im Islam ist eine gewisse Zerrissenheit zu erkennen. Diese Religion vermittelt ihren Gläubigen das Gefühl, zu den wertvollsten Menschen zu gehören, während die „Ungläubigen“ unter ihnen stehen. Trotzdem sind es die westlichen Gesellschaften, die heute ökonomisch, wissenschaftlich und kulturell erfolgreicher sind. Wie lässt sich mit dieser „islamischen Verletzung“ leben?
  • Warum sind es gerade Muslime, die sich mit Bildung und Integration in Deutschland schwertun? Zum Beispiel sind Migranten aus Vietnam in europäischen Gesellschaften deutlich erfolgreicher als Migranten aus muslimischen Ländern. Ein Teilnehmer vermutet, dass es an einer Grundhaltung vieler muslimischer Einwanderer liegt. Diese fühlen sich eher als Opfer und kompensieren dies mit einem übersteigerten Selbstbewusstsein. Bei Problemen und Konflikten sind dann immer die Anderen Schuld. Es fehlt ihnen – im Gegensatz zu den Vietnamesen - eine offene, interessierte und flexible Herangehensweise an die fremde Kultur.
  • Der Koran ist eine Zwangsjacke mit vielen Regeln hinsichtlich des Zusammenlebens in einer Gemeinschaft mit mittelalterlicher Ausprägung.
  • Ein Teilnehmer fragt, ob es Gemeinsamkeiten zwischen der Reislamisierung und der Renationalsierung gibt.
  • Der Dialog zwischen den Religionen ist und bleibt schwierig. Es wird nicht die eine alles umfassende Lösung geben. Vielleicht kann Bildung helfen. Hier wäre der Staat gefordert.
  • Unser Grundgesetzt ist in Deutschland nach wie vor eine wertvolle Richtschnur für das Zusammenleben. Es muss aber in den verschiedenen geschichtlichen Phasen und kulturellen Umbrüchen jeweils neu interpretiert werden.

 

Rottenburg, 30.11.2018

Wolfgang Hesse

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