Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

18.12.2018: "Das Risiko und sein Preis - Skin the game" - Das Buch von Nassim N. Taleb

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Dokumentation

 

 1.Einführung von Wolfgang Hesse

Vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Thema trotz des vorweihnachtlichen Stresses, herzlichen Dank auch an Herrn Brüggen für seinen Impuls.

Bevor es gemütlich wird - ein heftiges Thema: Nassim Talebs Buch „Der Preis des Risikos – Skin in the Game“. Die stark verkürzte Botschaft dieses Buches lautet:  Leute, die von ihren eigenen Entscheidungen nicht betroffen sind, sollten besser den Mund halten und nicht entscheiden. Entweder du hast bei Deinen Entscheidungen das Risiko, etwas zu verlieren – dein Geld, deine Freiheit, deine Ehre, kurzum: deine Haut –, oder du bist nichts anderes als ein Schwätzer. Wer denkt bei diesen Sätzen nicht an einige unserer Politiker?

Taleb befasst sich in seinen Büchern mit den Risiken in komplexen Systemen und mit der Frage, wie wir Menschen damit umgehen. Bekannte Titel sind „Der schwarze Schwan“ und „Antifragilität“. In seinen Büchern geht es nicht trocken und wissenschaftlich zu. Wir finden darin eine lockere Sammlung interessanter und bisweilen provozierender Gedanken und Anekdoten. So lautet etwa der Untertitel seines Buches „Antifragilität“ recht großspurig „Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen“. Aha, wir verstehen also die Welt nicht, aber der schlaue Herr Taleb erklärt sie uns dankenswerterweise. Und trotzdem macht uns die Paradoxie im Untertitel neugierig auf das, was er zu sagen hat.

 

2. Impuls von Gerhard Brüggen

Nassim Nicholas Taleb ist 01.01.1960 im Libanon geboren.

Zunächst einige von Talebs Aussagen und Grundgedanken: 

Die Moderne hat komplexe Systeme hervorgebracht und zugleich alles daran-gesetzt, sie top-down durch geeignete politische Maßnahmen und Interventionen zu zähmen.

Je mehr wir unsere Menschen gemachte Ordnung zwanghaft zu beherrschen ver-suchen, desto unbeherrschbarer wird sie. Und je mehr wir sie in der Gegenwart zu verstehen glauben, als desto unverständlicher wird sie sich eines Tages erweisen.

Je mehr Leute ihr Handeln an der dynamischen Realität ausrichten, desto robus-ter ist ein Unternehmen – oder eben eine ganze Gesellschaft (s. Antifragilität).

Riskiere Deine Haut oder schweig!

Taleb teilt Entscheider (z. B. Unternehmer) nach ethischen Gesichtspunkten in 3 Gruppen ein:

  1. Die selbst kein Risiko tragen, am Nutzen teilhaben können (Beamte, Verwal-ter, Politiker …)
  2. Die selbst das Risiko tragen, einen direkten Nutzen haben (Unternehmer, die ihre Haut riskieren, …)
  3. Die etwas für Andere riskieren, sich sogar opfern (Helden,...)

 

Talebs Stil:

Sammlung von Anekdoten als Essay, also Ausdruck seiner persönlichen Meinung dargestellt als innerer Dialog.

Kein Anspruch auf Universalität von Regeln, Gesetzen oder Verallgemeinerungen, wie  z. B. statistisch gesicherte „Wahrheiten“ oder andere verabsolutierende Wertungen.

Hemmungslose Kritik ohne Rücksicht auf Autoritäten.

Talebs Erklärung für Trumps Erfolg: Als ehemaliger Pleitier habe Trump bewiesen, dass er seine Haut aufs Spiel setze und genau damit erfülle er die Erwartungen seiner Klientel, die genug habe von Entscheidern ohne „skin in the game“.

Taleb sieht für die Vermittlung von Meinungen von Person zu Person keine allge-meine Theorie. Er benutzt als Anleitung dafür Geschichten/Anekdoten statt Bilder. Oft werden mit gleicher Absicht Karikaturen verwendet, um das Besondere von Situationen und die Erweiterungsmöglichkeiten bestehender Meinungen dazu  - also den Umgang mit Unwissen – für andere Personen deut- und diskutierbar zu machen. 

 

(Kritische) Rezensenten:

Ein großspuriger Polemiker mit anregenden Einsichten … In seiner geradezu orgiastischen Geschwätzigkeit ist dieses Buch eine Zumutung: Die gedanklich verwertbare Substanz ließe sich in einem einzigen Kapitel zusammenfassen. (Geisel)

Seine Leidenschaft gilt dem Auffinden von intuitiven Überzeugungen, die Hum-bug sind. (Breitenfellner)

…  Danke für Ihre hemmungslose Entblößung, Herr Taleb! (René Scheu)

 

Meine Meinung zu Talebs Aussagen:

Ein großer Intellektueller, der sich als Philosoph versteht und sich als Karikaturist mit Bodenhaftung äußert, um seine nonkonformistische Meinung zu vermitteln.

Seine Bücher sind Bestseller für Leser, die bereit sind mit Un-Worten umzugehen. Dazu zähle ich Un-Wissen, das bei konservativer Beschreibung von Natur und menschlichem Wirken durch auftretende Paradoxien deutlich wird. Solches Un-wissen dient als Anreiz zur Erweiterung der persönlichen Wissensbasis. Es kann nicht allein in der uns Menschen anerzogenen Weise - logisch und wissenschaft-lich (rational) vorgehend - in hinreichendem Maße erforscht werden. „Trial and Error“ bietet sich als Lösung an.

Persönliches Wissen dient im Kopf des Menschen als Basis für das Denken möglicher Wirkungen seiner Entscheidungen. Es ist kein direkt in Teilen sinnvoll tauschfähiges materielles Ding (z. B. als Behauptung). Es gewinnt erst Wirklich-keit (Realität), wenn es vom Menschen handelnd eingesetzt und/oder vom Gegenüber verstanden oder missverstanden wird.

Für Entscheidungen nutzt der Mensch seine „gefühlte Realität“, in die er nach seinen bisherigen Erfahrungen mögliche Wirkungen seiner Aktionen „eindenkt“. Wissen können wir erinnern, Unwissen nur denkend erschließen.

 

Talebs Hinweise zur Beachtung (nach Wikipedia):

Das Bevorzugen von Ordnungen und das gleichzeitige Abwerten von Zufällen zeige sich unter anderem in drei kognitiven Verzerrungen:

  1. Narrative Verzerrung (narrative fallacy): Das Schaffen einer Erzählung, um einem nicht vorhergesehenen, zufälligen Ereignis nachträglich Plausibilität zu verleihen.
  2. Ludische Verzerrung (ludic fallacy): Die Auffassung, dass der unstrukturierte Zufall im Leben dem strukturierten Zufall in Spielen (Glücksspiel, Kasino) gleicht. Taleb beanstandet die unreflektierte Anwendung von Modellen der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie (…).
  3. Statistisch-regressive Verzerrung (statistical regress fallacy): Die Auffassung, dass sich das Wesen einer Zufallsverteilung aus einer Messreihe erschließen lässt.

Taleb beschreibt in Bezug auf die Deutung von Geschichte und ihrer Auswirkung auf die Gegenwart ein „Triplett der Opazität“ (triplet of opacity)[1]:

  1. die Illusion, gegenwärtige Ereignisse zu verstehen
  2. die retrospektive Verzerrung historischer Ereignisse
  3. die Überbewertung von Sachinformation, kombiniert mit einer Überbewertung der intellektuellen Elite.

Wissen und Technologie werden Taleb zufolge eher durch „stochastische Bastelei“ geschaffen und kaum durch zielgerichtete rationale Forschung. Er stellt sich gegen sozialwissenschaftliche Theorien und unterstützt dagegen das Experimen-tieren und Sammeln von Fakten.

Gernot Böhme (Philosoph): Man kann einen Philosophen erst dann verstehen, wenn man seinen Wahrheitsanspruch erfasst.                                                                

Taleb mahnt das an, indem er uns mit vielen Beispielen anregt, unser Unwissen zu erkennen.

 

3. Diskussionsrunde im Plenum:

Aus dem Teilnehmerkreis wurden folgende Aspekte genannt:

  • Experten, z. B. Gutachter, müssen keine Verantwortung übernehmen für ihre Empfehlungen an die Politik.
  • Als Beispiel wird der Klimagipfel in Kattowitz (12/2018) genannt mit seiner politischen Forderung, CO2 – Emissionen zu reduzieren. Dies durchzusetzen ist aber schwierig angesichts der Interessen und starker Lobbys (z. B. Autoindustrie)
  • Die Entscheider müssen das Risiko tragen, nicht die Experten.
  • Die Komplexität von Entscheidungen hat zugenommen. Daraus folgt, dass Entscheidungen heute in der Regel nicht mehr von einer Person allein gefällt werden, sondern von mehreren Personen.
  • Es sei notwendig, dass auf Entscheidungsebenen, sei es in Politik oder Wirtschaft, mehr Risikobewusstsein geschaffen wird. Dabei sind auch die Nebenwirkungen auf weitere gesellschaftliche Bereiche bzw. Systeme zu bedenken.
  • Hinweis auf den Film „Kein schöner Land“, in dem es um Flächenverbrauch geht.
  • Oft sind Entscheidungen zu treffen, wo stets ein Rest an Unwissen bleibt und das Risiko nicht sicher abgeschätzt werden kann.
  • Das Leben gibt es, unabhängig davon, wie viel an Wissen uns zur Verfügung steht, nie ohne Risiko.
  • Tatsache ist, dass auch in Fällen, wo uns das nötige Wissen zur Verfügung steht und das Risiko bekannt ist, falsche bzw. problematische Entscheidungen getroffen werden, z. B. hinsichtlich Umwelt oder aktuell in der Autoindustrie im Rahmen des Dieselskandals.
  • Neben allem Wissen braucht es bei Entscheidungen das moralische Gewissen.

 

 

Rottenburg, 20.12.2018

Karl Schneiderhan

 

 

 

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