26.07.2021: Wir haben die Wahl! – Bundestagswahl 2021 Analyse aktueller Trends im Wahlkampf

 

1. Begrüßung und Einführung (Winfried Thaa)

 

Winfried Thaa begrüßt die anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer und weist in seiner Einführung insbesondere auf die Besonderheiten dieser Bundestagswahl gegenüber früheren Wahlen hin. So geht dieses Mal keine/r der Kanzlerkandidaten/in mit einem Amtsbonus in die Wahl. Dies könnte entgegen dem Trend der Personalisierung von Wahlen einen offeneren Wettbewerb um inhaltliche Positionen ermöglichen.

 

2. Impuls und Präsentation (Karl Schneiderhan)

1. Was kennzeichnet bisherige Wahlen und Wahlkämpfe?

Seit Gründung der BRD 1949 ist dies die 20. Bundestagswahl. Die Wahlbeteiligung sinkt seit vierzig Jahren, bis 1983 lag diese meist über 85%, seit 1987 meist unter 80%, jedoch höher als bei Landtagswahlen, Europa- und Kommunalwahlen. Ihren Höhepunkt hatte die Wahlbeteiligung bei der vorgezogenen Bundestagswahl 1972 mit 91,1%. Die Wahl war geprägt von den Auseinandersetzungen um die neue Ostpolitik Willy Brandts. Ihren historischen Tiefstand erreichte die Wahl­beteiligung 2009 mit nur 70,8%. 2017 stieg diese wieder auf 76,2%, nachdem Nichtwähler, bedingt durch den Erstauftritt der AfD bei einer Bundestags­wahl, aktiviert werden konnten. Die Höhe der Wahlbeteiligung variiert nach Altersgruppen (bei Älteren höher als bei den Jüngeren), sozialem Status, nach Bundesländern und war seit der Wiedervereinigung im Westen immer höher als in ostdeutschen Bundesländern. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sind Teile der Nichtwähler durchaus politisch interessiert und informiert. Hauptmotive für Wahlenthaltungen sind Unmut über Politiker sowie Unzufriedenheit mit Programm und Arbeit der Parteien.

Bei der ersten Wahl zum Deutschen Bundestag mit 420 Abgeordneten und 12 politischen Gruppierungen (!) wurde die CDU unter Konrad Adenauer mit 31% stärkste Kraft, der Frauenanteil lag bei 7%, aktuell bei ca. 32.%, von 2013 bis 2017 bei 36,5%. Adenauer wurde damals mit nur einer Stimme Mehrheit zum Kanzler gewählt. 1957 erringen CDU/CSU mit dem Slogan „Keine Experimente“ und „Wohlstand für alle“ die absolute Mehrheit der Stimmen und Sitze, während die SPD, die sich mit dem Slogan „Raus aus der Nato“ vehement gegen die Westintegration stemmte, beim Wähler nicht überzeugen konnte. Die Hauptkonfliktlinie damaliger Lagerwahlkämpfe verlief noch über Jahre zwischen den Positionen Westintegration oder Neutralität mit dem Ziel nationale Einheit sowie freie soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft. Die Union konnte mit ihrem Konzept der sozialen Marktwirtschaft, bekannt auch als Düsseldorfer Leitsätze der CDU von 1949, die Mehrheit der Wähler überzeugen und die Entwicklung gab ihr recht.

Mit der Wahl 1961 beginnt für die SPD mit dem Godesberger Programm und ihrem neuen Spitzenkandidaten Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister in West-Berlin und durch den Bau der Mauer weit darüber hinaus bekannt, der Aufschwung, der 1969 zu einem ersten Machtwechsel führte. Willy Brandt wurde Bundeskanzler und nach einem überstandenen Misstrauensvotum bei der vorgezogenen Wahl 1972 als Bundeskanzler eindrücklich bestätigt, die SPD wurde sogar stärkste Fraktion. In der Folgezeit war die Außenpolitik geprägt von gegensätzlichen Positionen in der Ostpolitik. 1980 nominieren CDU/CSU erstmals mit Franz-Josef Strauß einen CSU-Politiker zum Kanzlerkandidaten verbunden mit erheblichen Stimmenverlusten für CDU/CSU bei der Wahl 1980.

Seit Gründung der Bundesrepublik konnten sich amtierende Bundeskanzler bei 15 Wahlen behaupten, lediglich bei drei Wahlen erfolgte eine Abwahl, 1969 von Kiesinger zu Brandt (SPD/FDP), 1998 von Kohl zu Schröder (SPD/Grüne) und 2005 von Schröder zu Merkel (CDU/SPD). Im Verlaufe einer Wahlperiode gab es drei Kanzlerwechsel: 1966 von Erhard zu Kiesinger (Union/SPD), 1974 von Brandt zu Schmidt und 1982 von Schmidt zu Kohl (Union/FDP).

1983 ziehen erstmals die Grünen in den Bundestag ein und 1990, ein Jahr nach dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR, finden die ersten gesamtdeutschen Wahlen statt, bei der die Grünen knapp an der 5% Hürde scheitern. Diese erste gesamtdeutsche Wahl und die zuvor vollzogene Einheit Deutschlands waren eine der markantesten Einschnitte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. 2002 nominiert die Union ein zweites Mal einen bayerischen CSU-Politiker als Kanzlerkandidaten, den damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, verliert aber erneut die Wahl. Das Nord-Süd-Gefälle war auch im Stimmverhalten der Wähler deutlich erkennbar. Mit Angela Merkel wird 2005 erstmals eine Ostdeutsche zur Bundeskanzlerin gewählt und kann vermutlich die längste Amtszeit aller Bundeskanzler für sich beanspruchen. Die FDP verfehlt, nach einem fulminanten Wahlsieg 2009 mit 14,9% (allerdings war dies die Wahl mit der niedrigsten Wahlbeteiligung, was der FDP zugutekam), erstmals den Einzug in den Bundestag, ein herber Rückschlag für die freiheitliche Partei, die sich über Jahrzehnte als verlässlicher Mehrheitsbeschaffer für Regierungsbildungen gesehen hat, sowohl mit Union wie SPD.

Aufgrund von Ausgleichs- und Überhangmandaten hat die Zahl der Abgeordneten stark zugenommen, 1949 waren es noch 450, aktuell sind es 709, ebenso die im Bundestag vertretenen Parteien mit derzeit 6 Fraktionen, nachdem abgesehen von der ersten Wahlperiode das Dreiparteiensystem die Parlamentsarbeit prägte.   

Der Stil der Auseinandersetzungen unter den Parteien war in den ersten Jahrzehnten weit aggressiver und konfrontativer als heute, zum Teil geradezu feindselig. Bekannt sind u. a. Wortausbrüche von Herbert Wehner (SPD) gegenüber CDU-Politikern wie ‚Übelkrähe‘ oder ‚geistiges Eintopfgericht‘ und anlässlich des Wahlkampfes 1980 erinnerte der damalige Bundestagspräsident Richard Stücklen in mahnenden Worten die Parteipolitiker daran, auch der politische Gegner habe eine menschliche Würde. Diese Ermahnung richtete sich auch gegen seinen Parteifreund Franz-Josef Strauß, der über den politischen Gegner SPD einmal sagte: „Irren ist menschlich. Aber immer irren ist sozialdemokratisch.“ Mit Beginn der 70er Jahre ist eine zunehmende Personalisierung der Wahlkämpfe zu beobachten, was sich insbesondere in den Wahlplakaten widerspiegelt.

 

2. In welchem politischen Umfeld findet die Wahl 2021 statt?

 

3. Was sind die Besonderheiten bei dieser Bundestagswahl?

Im Vergleich zu früheren Wahlen unterscheiden sich Wahl und Wahlkampf 2021 durch fünf Besonderheiten, die es so bisher bei keiner Bundestagswahl gegeben hat.

 

4. Wie entwickeln sich Umfragewerte zu Parteien und Wahlthemen?

Die Umfragewerte unterliegen im Laufe einer Wahlperiode größeren Schwankungen, insbesondere bei gesellschaftlich relevanten Veränderungen oder Verwerfungen, was sich auf regierende Parteien meist negativer auswirkt, so auch die Corona-Maßnahmen in Verbindung mit dem zweiten Lockdown für CDU/CSU oder die Vorgänge um Sonderzahlungen, Lebenslauf und Plagiatsvorwürfe ihrer Kanzlerkandidatin für die Grünen. (vgl. Folie 9)

Bei der Frage: „Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre…“ ergeben die aktuellen Mittelwerte der Umfragen des Monats Juli (bis 16.07.2021) für die Parteien folgende Prozentanteile: CDU/CSU ca. 29%, Grüne ca. 19%, SPD ca. 16%, FDP ca. 11%, AfD ca. 10% und DIE LINKE ca. 7% sowie Sonstige ca. 8%. Dabei ist eine Fehlerquote von 2-3% zu berücksichtigen.

Allerdings sollte nicht voreilig der Schluss gezogen werden, die Vorwürfe gegenüber der Kanzlerkandidatin seien ausschließlich für den Rückgang der Zustimmung für die Grünen verantwortlich. In diesen Zahlen scheint sich vielmehr ein seit längerem bestehender Trend abzuzeichnen, wie eine Umfrage der Universität Hohenheim in Verbindung mit der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2021 ergibt. Dabei wurde gefragt, welcher Partei sie auf Landesebene die höhere Problemlösungskompetenz zutrauen. Danach sprachen 38% den Grünen die höhere Kompetenz zu, der CDU dagegen nur knapp 20%. Genau umgekehrt war das Ergebnis bei der Frage, wem sie im Bund die höhere Lösungskompetenz zutrauen. Knapp 40% der Befragten sprachen diese der Union zu, während den Grünen nur knapp 20%.

Bedeutsam für einen Wahlkampf ist zudem die von Bürgern vorgenommene Einstufung des Handlungsbedarfs in Bezug auf die zu lösenden Aufgaben bzw. Probleme. So wurden im Juni 2021 in einer im Auftrag des Spiegels durchgeführten Umfrage Bürger gefragt: „Welche drei politischen Themen werden Ihre Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl 2021 am meisten beeinflussen?“ Neben der Aufarbeitung der Auswirkungen der Corona-Pandemie wurden dabei folgende Themen genannt:

Renten- und Sozialsysteme (57%)

Umwelt- und Klimapolitik (45%)

Wirtschaft- und Arbeitsplätze (39%)

Innere Sicherheit (30%)

Gesundheitspolitik (29%)

Digitalisierung und Modernisierung (28%)

Bildung und Forschung (26%)

Migration (24%)

Je nach Parteipräferenz unterscheiden sich die Schwerpunkte erheblich:

Linke- und SPD-Wähler: Renten- und Sozialsysteme (70 bis 75%)

GRÜNE: Umwelt und Klima-Politik (90%)

CDU und FDP: Wirtschaft und Arbeitsplätze (56-57%)

GRÜNE: Digitalisierung (40%) und FDP (33%)

AfD: Migration (65%)

 

5. In welchen Politikfeldern sind gemeinsame Ziele der Parteien erkennbar?

Bei der Bewertung der in den Wahlprogrammen veröffentlichten Positionen ist die Unterscheidung von Zielen, Maßnahmen und Strukturen hilfreich. Mit Blick auf die politischen Ziele gibt es trotz unterschiedlicher Akzentuierungen Gemeinsamkeiten, z. B.

 

6. Welche programmatischen Akzente setzen die Parteien?

Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien umfassen insgesamt ca. 650 Seiten. Es ist davon auszugehen, die große Mehrzahl der Bürger wird diese umfangreichen Programme nicht lesen, sondern sich bei ihrer Wahlentscheidung eher im Rahmen öffentlich-medialer Auseinandersetzung über Positionen der Parteien informieren und sich auch daran orientieren, wie glaubwürdig und überzeugend Spitzenkandidaten/innen sind. Der frühere US- Präsident Bill Clinton soll gesagt haben: Die Botschaft muss auf eine Scheckkarte passen. Insofern lohnt es, einmal die Überschriften bzw. Wahlslogans der Parteien in den Blick zu nehmen. (vgl. Folie 13)

Eine Studie der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg sieht in den Wahlprogrammen der Parteien insbesondere folgende Themenschwerpunkte:

In den genannten Politikfeldern zeigen sich durchaus Unterschiede in den Positionen der Parteien, sowohl hinsichtlich des Politikverständnisses wie der geplanten Maßnahmen, so z. B. bei den Themen Steuern, Investitionen, Schuldenbremse, Bürgerversicherung, Rente, Tempolimit, Klimaneutralität oder Mobilität. An den ausgewählten Themenfeldern Gesundheit/Rente, Klimaschutz und Steuern sind diese Unterschiede dargestellt. (vgl. Folien 15 bis 17)

An die Parteiprogramme aller Parteien stellt sich die Frage: Wo sehen diese die finanziellen Ressourcen zur Finanzierung ihrer geplanten Vorhaben?  

 

7. Welches Verständnis von Politik ist in den Wahlprogrammen erkennbar?

 

8. Wie komme ich zu einer verantworteten Wahlentscheidung?

       (z. B. Klimawandel, Arbeitswelt, Digitalisierung, Familie, Rente, Wohnen, Mobilität, Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Europa)

       (Vergleich der Lösungen anhand einer Synopse erkennen und bewerten)

       (z. B. Freiheit und Verantwortung des Individuums, Solidarität und Zusammenhalt, Dimensionen der Gerechtigkeit als Prinzip politischen Handelns, Ordnungs- und Lenkungsfunktion des Staates, liberales oder soziales Wirtschaftskonzept oder mehr Planwirtschaft)

(Qualifikation, Erfahrung, Strategische Kompetenz, Überzeugungskraft, Begeisterungsfähigkeit, innere Unabhängigkeit, Krisenmanagement, ethische bzw. religiöse Einstellung)

 

3. Zusammenfassung der Diskussionsbeiträge

 

Besonderheiten dieses Wahlkampfes und der Stil der politischen Auseinandersetzung

Die Parteien und ihre programmatischen Alternativen

 

Mit dem Dank für die engagierte Diskussion und dem Wunsch für eine gute Wahlentscheidung endet der Gesprächskreis.

 

Rottenburg, 02.08.2021

Winfried Thaa/Karl Schneiderhan

Kommentare?!?

Schick uns Deinen Text